POLITIK und WIRTSCHAFT
Der tragische Tod einer jungen Kadettin auf der Gorch Fock im November hat die Gemüter aufgeheizt. BILD, Maybrit Illner, Sandra Maischberger, um nur einige der Millionen erreichenden Medien zu nennen, bestimmen Schlagzeilen und Talkshow-Inhalte mit Aufforderungen und Kommentaren, die mehrheitlich zwischen Zeilen und Worten eines zu vermitteln scheinen: Ganz unmöglich, was da passiert ist, das muss Folgen haben. Die Folgen sind bekannt: Mit Norbert Schatz Ablösung, der seit 2006 das Kommando des deutschen Segelschulschiffs hatte, wurde von Bundeverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) eine erste personelle Konsequenz gezogen, deren Sinn von Praktikern angezweifelt wird. Genauso wie die Darstellung der angeblichen oder tatsächlichen Vorfälle, die auch den neuen Wehrbeauftragten Hellmut Königshaus (FDP) auf den Plan gerufen haben. Es ist sicher unmöglich, auf einen Schlag alle, die je auf der Gorch Fock gefahren sind, zu der Glaubwürdigkeit um die aktuelle Diskussion und die bekannten Vorfälle zu befragen. Dennoch können Schilderungen aus eigenem Erleben helfen, einen anderen Blickwinkel zu erhalten, gemäß der Philsophie die aus dem Film „Der Club der toten Dichter“ zu erkennen ist: Wer sich ein Chaos von oben ansieht, bekommt möglicherweise den erhellenden Durchblick. Im Mittelhessenblog kommen zwei Männer zu Wort, die politisch in gegensätzlichen Lagern zuhause sind, sich aber in der Beurteilung einig sind, da sie den Alltag der Gorch Fock selbst erlebt haben.
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass die junge Frau tatsächlich aus der Takelage beim Abentern abgestürzt sein soll. Dann hätte sie höchstens im Wasser landen können“, wundert sich Klaus Bork aus Fronhausen. Und Werner Waßmuth aus Lohra pflichtet ihm bei. Die beiden Männer, die zwar kommunalpolitisch verschiedenen Lagern angehören, der eine in Fronhausen der SPD, der andere in Lohra der CDU, sind sich, wenn es um die Gorch Fock geht und die gegenwärtigen Schlagzeilen und Talkshow-Äußerungen, einig: „Das Theater ist absurd. Es wäre schade, wenn das zulasten der Gorch Fock ginge. Außerdem: Wer zur Gorch Fock geht, macht das freiwillig und wird nicht dazu gezwungen.“
Für Bork und Waßmuth ist aus ihren eigenen Erlebnissen eher wahrscheinlich, dass die Soldatin eher bei Arbeiten auf der Rah abgestützt ist, weil sie sich nicht wie eigentlch vorgeschrieben, bei ihrer Arbeit gesichert hatte. „Das ist ein tragischer Unfall, gewiss. Aber man sollte ihn nicht nehmen, um daraus nun eine Vorlage für politisch motivierte Manöver gleich welcher Art zu machen“, sagen die beiden Kommunalpolitiker.
Bork war von April bis Juni 1968 als Offiziersanwärter auf dem Segelschulschiff und hatte sich zudem als Zeitsoldat für vier Jahre verpflichtet. Waßmuth war als Wehrpflichtiger als Matrose vom 1. Oktober bis zum 30 November 1970 auf dem Schiff gewesen. Beide, wollten zu Marine und „auf die Gorch Fock“.
Dass es kein Sonntagsspaziergang werden würde und kein Zuckerschlecken, sei beiden klar gewesen.
Aber von Anfang an habe das Einüben lebenswichtiger Handgriffe bei der Arbeit auf dem Schiff dazu gehört. „Wir sind in den ersten zwei Wochen schrittweise an die Arbeit in der Takelage gewöhnt worden, erst ging es auf die niedrigste Stufe, die Untermarsrah, später bis in die Royals ganz oben. Erst wenn alle Handgriffe saßen, wurden wir auf die Takelage losgelassen“, erinnert sich Bork. Waßmuth ergänzt, dass außerdem jeder vorher gefragt wurde, ob er aufentern wolle. Wer nicht wollte, wurde für die Decksarbeit mit den Segeln eingeteilt. „Vielleicht gab es dann mal die eine oder andere Uzerei unter uns. Das hat aber keiner als Schikane empfunden“. Beide ehemaligen Gorch-Fock-Fahrer versichern, dass die Sicherheit generell immer an oberster Stelle stand. Bei der Arbeit in der Takelage sei es Pflicht gewesen, sich immer zu sichern. Wer es nicht tat, sei für das damit verbundene Risiko selber verantwortlich gewesen.[Redaktionelle Anmerkung für Landratten: Untermarsrah, Royals, Klüver etc sind die Bezeichnungen für die jeweiligen Segelpositionen auf einer Brigg wie der Gorch Fock. Nähere Aufklärung bietet hierzu diese Seite: Segelschiffe-Portal ]
Auch die Erzählungen über Saufgelage an Bord des Schulschiffs halten beide für an den Haaren herbeigezogen: „An Bord Alkohol? Das hätte der Kapitän nie zugelassen. Wir bekamen außerdem immer eingebläut, dass wir kein Kreuzfahrtschiff sind, sondern als Botschafter der Bundesrepublik Deutschland unterwegs sind und uns dementsprechend benehmen sollen“, berichtete Waßmuth. Dass es an Land dennoch zu dicken Köpfen wegen ungewohnten Weingenusses kam, sagte Waßmuth genauso.
Für die beiden Männer, die hier der Marine- und Segelerkameradschaft Marburg angehören, steht fest, dass der Tod der jungen Soldatin „ein tragischer Unfall war“, der aber sicherlich nicht geeignet sei, deswegen ein insgesamt schlechtes Licht auf die Gorch Fock zu werfen. Sie vermuten, dass unter Umständen das Aufprallen des heute meistens ganz anders gestalteten Aufwachsen junger Menschen mit den der Sache wegen harten Bedingungen auf einem Segelschulschiff die gegenwärtige Diskussion verursacht haben könnten.Lesen Sie hierzu auch den Kommentar „Gorch Fock: Durchsichtiges Manöver im Duell FDP gegen CSU“
rhein-main meint
Die Untersuchung auf der Gorch Fock fängt gerade erst an, aber die Mannschaft ist schon vorverurteilt worden. Wie ist es denn mit dem Rechtsstaat, gilt hier nicht die Unschuldsvermuten. Seit Freitag untersucht eine Kommission unter der Leitung von Marineamtschef Horst-Dieter Kolletschke Vorwürfe, auf der Gorch Fock seien Offiziersanwärter schikaniert und sexuell belästigt worden. Er berichtete nach einem ersten Eindruck von Bord, die Stammbesatzung sei kooperativ. Das hört sich doch positiv an.