UMWELT/POLITIK und WIRTSCHAFT
Ist es nun ein Wolf oder nicht, der im mittelhessischen Landkreis Gießen seit Montag „Hessens grüne Mitte“ zum überregionalen Medienbrennpunkt macht? Noch in der letzten regionalen Nachrichtenausgabe des Hessischen Rundfunks am 11. Januar um 22.45 Uhr, in der „Hessenschau Kompakt“, konnte die Frage nicht abschließend geklärt werden. „Für heute ist erst einmal Schluss mit der Suche“ wurden Wissbegierige mit ihren Fragen fürs erste allein gelassen.
Für Kuddelmuddel hatte der Wolf oder das Tier, das von allen, die es in unmittelbarer Nähe in der Gießener Südkreisgemeinde Pohlheim im Ortsteil Watzenborn-Steinberg gesehen hatten, als Wolf beschrieben wurde, schon vorher gesorgt: „Ich muss jetzt erst einmal klären, wer hier pressemäßig überhaupt zuständig ist“, machte ein etwas genervt wirkender Willi Schwarz kurzfristig am Dienstagvormittag seinem Ärger Luft. „Wir haben hier schon die ganze Zeit Presseanfragen nicht nur aus Hessen. Das ist ja nicht das Problem“, sagte Schwarz. Eher die Tatsache, ob es denn nun ein Hund sei oder doch ein Wolf. „Wenn es ein Hund ist, dann wären wir wohl doch eher zuständig, ist es ein Wolf, ist das wohl eher ein Fall für den Umwelt- und den Naturschutz, also für das Umweltministerium. Das muss ich jetzt klären“, sagte Schwarz. Wenig später kam dann die Nachricht, dass Polizei und Ministerium sich bis auf weiteres die Öffentlichkeitsarbeit in Sachen Wolf teilen.
Denn Susanne Jokisch, die in Gießen ansonsten bei der Fena (Einrichtung der hessischen Forstverwaltung für Forsteinrichtung und Naturschutz) arbeitet, war beauftragt worden, sich am Dienstag auf die Fährte des Wolfes zu setzen. Montag Nachmittag war das Tier, das am rechten Hinterlauf schwer verletzt sei, von einer Spaziergängerin in der Nähe eines Einkaufszentrums gesehen worden. Die Frau hatte sofort die Polizei angerufen, die wiederum den zuständigen Jagdpächter alarmierte. Trotz Unterstützung durch Fachkräfte der Veterinärmedizin der Justus-Liebig-Universität Gießen, einer Hundeschulebesitzerin und des Vorsitzenden der örtlichen Nabu-Ortsgruppe war es am Montag nicht gelungen, das Tier einzufangen.
Einen Tag später sollte es trotz des zu Hilfe gezogenen Expertenwissens von Susanne Jokisch auch nicht gelingen, den Wolf zu sichten. Wie es im Gießener Anzeiger am Dienstag hieß, waren sich indes alle unmittelbar Beteiligten sicher gewesen, dass es sich um einen Wolf und nicht um einen wolfsähnlichen Hund gehandelt haben muss. Die Frage jedoch muss letztlich bisher offen bleiben. Denn: „Im Unterschied zum Hund ist der Wolf ja ein Energiesparer. Er läuft zielgerichtet im geschnürten Trab“, hatte Jokisch erklärt. Und davon sei bisher nichts zu sehen gewesen.
Dass Susanne Jokisch indes ihr Handwerk verstehen muss, wird ihr sowohl von seiten des hessischen Naturschutzverbandes wie auch vom Verein Freundeskreis frei lebender Wölfe bescheinigt. Jokisch hatte eigens dafür, dass sie Wölfe identifizieren kann, eine Fortbildung beim wildbiologischen Büro Lupus in der Lausitz absolviert. Jenes Büro, das im wesentlichen von den Biologinnen Ilka Reinhardt und Gesa Kluth geleitet wird, war vom Freistaat Sachsen vor dem Hintergrund der Einwanderung von Wölfen über die deutsch-polnische Grenze eingerichtet worden und begleitet seit 2000 die Ausbreitung und natürliche Rückkehr des Wolfes in deutsche Naturlandschaften mit wissenschaftlichen Methoden. Eines der Hauptanliegen ist dabei für einen entzerrten Umgang der Gesellschaft mit der Rückkehr des Wolfes zu sorgen. Dass der Wolf im Grunde mit Leichtigkeit in Kürze Distanzen von bis zu 1500 Kilometern überwinden kann, dabei auch mit Verletzungen oder dauerhaften körperlichen Behinderungen sich einzurichten, zu überleben weiß, dabei auch noch für Nachkommen sorgen kann, haben Reinhardt und Kluth inzwischen herausgefunden. Meldungen über einen Wolf im hessisch-niedersächsischen Grenzgebiet im Reinhardswald oder vor kurzem im Rothaargebirge im Grenzgebiet zwischen Hessen und Nordrhein-Westfalen stehen
Vor rund einem Jahr hatte die stellvertretende Nabu-Vorsitzende Birgit Beckers von Nordrhein-Westfalen am 21. Januar 2010 in Natur und Kosmos die Einrichtung eines Wolfmanagements für ihr Bundesland gefordert, das mit Niedersachsen und Hessen abgestimmt sei. Vor den aktuellen Vorgängen im Landkreis Gießen gibt nun Janosch Arnold vom Worldwide Fund for Nature (WWF) auf der Homepage von WWF-Deutschland der Forderung nach einem Wolfmanagement, das regelt, wie mit dem Wolf umgegangen werden soll, eine neue Wendung. Hessen solle sich an den beiden „Wolfsländern“ Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern orientieren. Beim hessischen Nabu-Landesverband dagegen sieht man die Lage derzeit entspannt. Zwar fordert auch der Nabu in einer aktuellen Stellungnahme „Finger weg vom Wolf“ und meint damit, dass trotz eindeutiger Verbote der Wolf nicht einfach abgeschossen werden soll. Aber: „Gerade der aktuelle Fall zeigt, dass man in Hessen mit der Lage umgehen kann. Sollte die Zahl der Wölfe aber steigen, würden wir auch noch konkretere Maßnahmen fordern“, so Nabu-Sprecher Mark Hartuhn gegenüber Mittelhessenblog.
Für Uwe Tichelmann, den Vorsitzenden des Freundeskreises für freilebende Wölfe, wäre ein Abwarten „bis der Wolf sich dann einmal eingerichtet hat“, zu leichtfertig. Tichelmann nennt Beispiele: „Nachgeburten werden bei Feldgeburten immer wieder gerne einfach an den Wegesrand oder in den Straßengraben geschmissen. Das könne sich ja der Fuchs holen, heißt es dann. Hinterher haben sich die betroffenen Tierhalter dann gewundert, dass sie damit den Wolf immer mehr angelockt, ihn sozusagen angefüttert haben. Es kommt einfach darauf an, den richtigen Umgang rechtzeitig zu lernen. Mit Susanne Jokisch schließt sich insofern der Kreis. Denn Jokisch ist Mitglied des Vereins, der vor rund sechs Jahren nach einem Besuch Tichelmanns in der Lausitz entstanden war. Das Hauptziel des Vereins sei, die Arbeit rund um die wissenschaftliche Begleitung der Wiederansiedlung freilebender Wölfe in Deutschland zu unterstützen. So wird Lupus, wo Jokisch ihre Fortbildung gemacht hat, vom Freundeskreis für freilebende Wölfe mit Sachspenden wie Fotofallen unterstützt. Die Arbeit Reinhardts und Kluths wurde unter anderem vor kurzen in der 3sat-Dokumentation „Wer hat Angst vorm bösen Wolf“ von Axel Gomille gezeigt.
Weiterführende Links zum Thema Wolfsmanagement
Natur und Kosmos 21. Januar 2010
WWF ‑Erklärung von Janosch Arnold
Freundeskreis freilebende Wölfe
Organisationen und Einrichtungen
Wildbiologisches Büro Lupus
Der Wolf in den Medien
WOLF-Magazin zum Mittelhessen-Wolf
vera meint
Nur mal so: Über Wölfe dick und fett zu berichten, ist der beste Weg, sie zum Abschuss zu empfehlen. Toll.
Christoph von Gallera meint
Liebe Vera,
herzlichen Dank für Deinen Kommentar.
Es kommt immer darauf an, wer etwas dazu und wie sagt. Die Berichterstattung über Wölfe hat abgesehen vom klassischen Boulevard-Journalismus in der Regel immer nur den Diskussionsstand rund um Wölfe abgebildet. Das ist letztlich Aufgabe des Journalismus. Tatsache ist, dass der Wolf unter Naturschutz steht. Wer einen Wolf ohne Not tötet, macht sich damit strafbar. Ein Notfall würde bei unmittelbarer Gefahr für Leib und Leben vorliegen, also bei einem unmittelbaren Angriff auf einen Menschen. In Niedersachsen wurde erst kürzlich hierzu ein Urteil gefällt.
Silke meint
@vera: Warum sollte man nicht darüber berichten? Wie Christoph schon sagt, stehen Wölfe unter Naturschutz und sind so scheu, dass kaum Jemand die Chance bekommen wird, eine von ihnen ausgehende Gefahr zu konstruieren.
lausitzradler meint
Es ist entscheidend, in welcher Art und Weise über den Wolf, seinen Lebensraum und seine Lebensweise berichtet wird. Wenn z.B. der Wolf seinen natürlichen Instinkten folgt und ein Schaf reisst und dies wird in der Presse unangemessen aufgebauscht, dann ist dies der Sache genauso abträglich, wie wenn ein Grundbruch im Lausitzer Seenland zu einer Katastrophenmeldung in den Medien führt. Dann bleibt in den Köpfen nur die Angst vor dem bösen Wolf und vor dem Erdrutsch in der Lausitz. Besser wäre, statt Angst und Panik einen gesunden Respekt zu erzeugen, sowohl vor dem Wolf als Raubtier, als auch vor möglichen Erdrutschen in den Bergbaufolgelandschaften der Lausitz. Dies ist durch eine verantwortungsvolle Berichterstattung durchaus möglich. In diesem Sinne beste Grüße aus der Lausitz 🙂