POLITIK UND WIRTSCHAFT
Geht es um Tabakkonsum, scheiden sich die Geister. Für die einen ist es Kulturgenuss, für die anderen eine Belästigung der Umwelt. Solange es um Sucht geht, besteht sicherlich kein Zweifel, dass Tabakkonsum eine Krankheit ist. Es steht auch außer Frage, dass Bestrebungen Kinder und Jugendliche vom Rauchen fernzuhalten, sinnvoll sind. Soweit so gut. Dass mit dem Genuss von Tabakprodukten allerdings auch eine Stilfrage und eine Lebenseinstellung verbunden ist, steht auf einem anderen Blatt. Mit der Geschichte des Rauchens und der Rauchkultur haben sich diverse Werke quer durch die Literatur befasst. Am eingängigsten ist vielleicht jenes von Conte Corti, das direkt den Titel „Geschichte des Rauchens“ trägt.Um die gesundheitlichen Aspekte des Rauchens soll es in diesem Mittelhessenblog-Artikel deswegen auch weniger gehen, sondern eher um die kulturellen, um die identitätsstiftenden. Um die Debatte rund ums Rauchen geht es in einem zweiten Artikel im Mittelhessenblog.
Dass die Tabakwirtschaft in der alten Bundesrepublik ihren starken Anteil am Wiederaufbau des Landes hatte, ist ebenfalls kein Geheimnis. Diverse regionale Wanderausstellungen um die Geschichte und volkswirtschaftliche Bedeutung traditioneller Tabakanbaugebiete ind Deutschland und eingesessene Tabakmanufakturen stehen dafür.
Dass eine Zigarre aber eine identitätsstiftende Wirkung haben kann, dass sie als Symbol für eine deutsche Kernlandschaft stehen könnte ist neu. Mit der Kreation des Gießener Schlammbeiser dürfte dies gelungen sein. Gießener Schlammbeiser? Mittelhessenbloglesern, die mit dem Begriff nicht anfangen können, sei er kurz erklärt: Der Schlammbeiser ist ein alter Neckname für die Gießener und steht für einen Kanalarbeiter, der in früheren Zeiten mit dem Schlammp-Eisen Müll, Unrat und teils auch menschliche Hinterlassenschaften aus der früher offenen Kanalisation holte und dann in Eimern außerhalb der Stadt entsorgte. Was früher also eher etwas nicht besonders appetitliches war, verwandelte sich im Lauf der Zeit zum Zeichen für eingeborene Urgießener und Gießener Originale.
Im positiven Sinne soll der Gießener Schlammbeiser aus den Räumen der Heuchelheimer Zigarrenmanufaktur „Don Stefano“ also nun für eine neue Duftmarke sorgen. Hinter Don Stefano selber verbirgt sich mit Firmengründer Steffen Rinn selber der Nachfahre eines unter Zigarrenfreunden ehemals über die europäischen Grenzen hinaus bekannten Zigarrenherstellers: Rinn und Cloos. Während von der früheren wirtschaftlichen Bedeutung von „R&C“ heute noch zahlreiche größtenteils eindrucksvolle Backsteinbauten im mittelhessischen Raum künden, sorgt mit „Don Stefano“ nun seit 1993 abermals eine mittelhessische Zigarrenmanufaktur dafür, dass der Name Mittelhessen nicht nur mit den harten Standortfaktoren wie Optik, Biotechnologie, Lebenswissenschaften, Medizintechnologie oder auch Softwaredesign und Computergroßhandel verbunden wird, sondern auch mit Genussfaktoren.
Die Idee zum Gießener Schlammbeiser in Tabakform hatte übrigens kein Mann, sondern eine Frau: Simone Grebe-Senger. Sie ist die Gießener Filialleiterin des Hamburger Tabakhändlers Wolsdorff. Die Idee für die Kreation sei ihr 2009 mit dem Umzug an einen neuen Standort in der Gießener Fußgängerzone gekommen. Also fragte sie bei „Don Stefano“ nach. Der 20 Mitarbeiter zählende Familenbetrieb setzte sich an die Aufgabe, kreierte eine eigene Mischung („die bleibt ganz klar unser Geheimnis“, so der für den Vertrieb zuständige Geschäftsführer Matthias Rinn) und präsentierte den rauchbaren Schlammbeiser nun in drei Varianten als Zigarillo, als Corona und als Panatela. Damit nicht genug, setzte Rinn noch etwas drauf: Mit Hans Rost verpflichtete Rinn einen langjährigen ehemaligen Mitarbeiter, der das Familienunternehmen mit Live-Vorführungen unterstützt, wenn es darum geht, die handwerkliche Zigarrenproduktion vor Publikum zu erklären. „Andere machen das zwar auch, aber die haben dann in der Regel kubanische oder andere Zigarrendreher, die sicherlich auch ihr Handwerk verstehen, aber dann an der Sprache scheitern.“
Das Geschäft mit der Zigarre, Zigarillos, genauso das rund um Pfeifen ist indes nicht einfacher geworden. Die restriktive Rauchergesetzgebung trägt einen Teil dazu bei: „Wir stellen das ganz klar fest: Früher wurden auch in der kalten Jahreszeit mehr Zigarren gekauft.. Heute sind es eindeutig die Sommermonate. Mit einer Zigarre geht man ja nicht eben vor die Tür und zieht die in fünf Minuten durch“, sagt Rinn und spricht damit auf den Verlust an Atmosphäre an, der die Genussraucher treffe. Dabei stimmt der Ausdruck „Rauchen“ eigentlich nicht. Denn im Gegensatz zur Zigarette, die ihre gleichzeitig gefährliche und stimulierende Wirkung erst mit Lungenzügen entfaltet, werden Zigarre, Zigarillo und Pfeife nur gepafft. Und das, sofern man den Rauch nicht kontinuierlich inhaliert und vor allem nicht viel paffe, sei weniger schädlich als bei Zigarettenrauchern. So zitiert die Nachrichtenagentur DAPD das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg in einer Reportage über ein anderes Familienunternehmen, das im nordrhein-westfälischen Bünde ebenfalls Zigarren handwerklich herstellt.
Hier geht es weiter zum zweiten Teil:
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