Liebe Mittelhessenblogleser: Nicht ist so spannend, wie Geschichte. Die eigene allzumal. Das hat man längstens beim ZDF erkannt und mit ZDF-History ein Format etabliert, das seine Wurzeln in den USA hat. Bekannt wurde History vor sechs Jahren, als es als kleiner Bezahlsender in Deutschland begann, den Deutschen historische Themen näher zu bringen. Das Medienportal DWDL hatte darüber am 17. November 2004 berichtet. In Historikerkreisen ist das Format allerdings umstritten, mindestens eine kritische Stimme findet sich auch in den klassischen Printmedien. Es ist noch nicht einmal ein Jahr her, als der Kulturjournalist Dr. Alexander Kissler in der Online-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung vom 16.12. 2009 im Kulturressort eine süffisante Kritik über die tragenden Personen im ZDF-History-Quiz veröffentlichte, im Mittelpunkt der Kritik immer wieder Guido Knopp.
Dabei kommt Professor Dr. Guido Knopp, dem Mann, der für die Sendung als Verantwortlicher seinen Kopf hinhält, eigentlich eine verantwortliche Position an zentraler Stelle zu. Für wie wichtig, etwa als Unterrichtsergänzung, das ZDF selber die Sendung nimmt, können aufmerksame Zuschauer jederzeit verfolgen. Am Ende jeder ausgestrahlten Sendung, hinter der die ZDF-History-Redaktion um Knopp steht, wird ein Hinweis für Lehrer eingeblendet, woher sie Unterrichtsmaterial zur Sendung beziehen können. Vor dem Hintergrund, dass Medienspezialisten eigentlich um die manipulative Wirkung des Fernsehens wissen sollten, also die vom Zuschauer nicht bemerkte Beeinflussung, sollte ein entsprechender Umgang mit der Wahrheit angenommen werden.
Die am 14. November ausgestrahlte Auftaktsendung der zweiten Staffel von „Die Deutschen“ lässt indes Zweifel aufkommen, mit welcher Aussageabsicht an zentrale Kernstücke europäischer, im speziellen deutscher und französischer Geschichte herangegangen wird.
Die Gegenspieler des ersten Teils: Frankenkönig Karl der Große und Sachsenführer Widukind. In einer sicherlich aufwendig gestalteten Präsentation wird versucht mit der Einblendung althochdeutscher Sprache in den entscheidenden Dialogen Authenzität und Glaubwürdigkeit zu vermitteln. Dass bereits in den Eingangsszenen harte Metal-Klänge als Hintergrund zu den Kämpfen zwischen sächsischen und fränkischen Kriegern gespielt werden, wirft ein schräges Bild. Deswegen drängt sich der Verdacht auf, den etwa AmMyselfUC und Amartholion im Internet-Kurznachrichten-Dienst Twitter äußerten: Einerseits stehe die Unterhaltung vor der Wissensvermittlung, andererseits sei im Frühmittelalter die Quellenlage doch recht unsicher. Beide Twitterer hatten damit auf eine Twitterumfrage zu der Auftaktsendung „Die Deutschen“ geantwortet, die das Mittelhessenblog nach der Sendung begonnen hatte.
Einen Anhaltspunkt für den doch sehr freien Umgang mit der Thematik lieferte die Darstellung des so genannten Blutgerichts in Verden an der Aller aus dem Jahr 782. Dass die These, dass dort 4500 oder mehr Sachsen auf Veranlassung Karls des Großen hingerichtet worden sein sollen, wurde leider nicht so kritisch dargestellt, wie es die deutsche Wikipedia mit diesem zentralem Datum in der Entstehung des fränkischen Reiches tut. Denn, wie aus den in der Wikipedia genannten Quellen hervorgeht, ist es in der Tat fraglich, ob es nur einige wenige waren, die den Zorn des Franken zu spüren bekamen oder ob, wie es auch kolportiert wird, nur einige wenige Sachsenhäuptlinge gewesen, die, modern ausgedrückt, in eine Art funktionelle Beugehaft genommen und für das fränkische Reich dienstverpflichtet wurden. Es wäre wenigstens eher glaubhaft gewesen, wenn darauf in der Auftaktsendung hingewiesen worden wäre.
Genauso auffällig war, mit welcher Vehemenz immer wieder auf das „brutale Vorgehen“ Karls verwiesen wurde, mit dem er die heidnischen Sachsen von ihrem Wotanskult abbringen wollte, ebenfalls auffällig, in welcher Art der französische Umgang mit Karl dem Großen dargestellt wurde. In Frankreich würde Karl der Große glorifizierend für die eigene Geschichte vereinnahmt. Zum Beweis wird seine Bezeichnung als „Charlemagne“ herangeführt. Zumindest der Blick in ein französisches illustriertes Geschichtsbuch für Kinder aus dem Jahr 1958, also ganze 13 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, lässt an dieser Enschätzung gewisse Zweifel aufkommen. Denn dort kommt Karl der Große ähnlich gut oder ähnlich schlecht weg wie in der mit viel Aufwand produzierten ZDF-Serie. Nur dass in einem knappen Dreizeiler klar gemacht wird, dass er die Sachsen mit Waffengewalt gezwungen hat, ihren Glauben abzulegen und Christen zu werden. Das vorgebliche Massaker von Verden wird mit keinem Wort erwähnt.
Es fällt vor der Überprüfung dieses Details zumindest schwer anzunehmen, dass die Aufarbeitung historischer Themen, zumal von zentraler Bedeutung, tatsächlich mit der gebotenen Sorgfalt und Ausgewogenheit stattfindet, wie man sie von einem gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Sender erwarten darf. Allein schon die Wahl Karls des Großen dürfte als Ausgang deutscher Geschichte kritisch sein. Denn vom Beginn deutscher Geschichte kann nach grundlegender Historikereinschätzung erst ab 843 die Rede sein, als das Fränkische Reich unter seinen drei Enkeln aufgeteilt wurde und damit die Grundlage für die Staatenwerdung Frankreichs und Deutschlands gebildet wird.
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Link zu Alexander Kissler
Link zur Online-Ausgabe der SZ vom 16.12.2009
Link zur DWDL-Reportage vom 17.11.2004
Kris Seidl meint
Die Krux ist doch, dass es leider einer etwas reisserischen Aufmachung bedarf, um das Interesse an Geschichte überhaupt erst zu wecken; wenn dann noch die Quote im Nacken sitzt, geht man/Knopp doch gerne den Pakt mit der Manipulation ein.
Wenn es gut läuft, weisen engagierte Geschichtslehrer im Unterricht auf o.a. Diskrepanzen hin und schulen das kritische Auge des Betrachters; ich befürchte allerdings, dass die Sendung stundenfüllend und relativ kommentarlos vorgeführt wird.
Ich hoffe selten so sehr wie in diesem Falle, dass ich mich irre!
In diesem Sinne
Kris Seidl
Matthias meint
Welche Quellen gibt es denn für die Behauptung, ZDF-History habe seine Wurzeln in den USA?