Liebe Mittelhessenblogleser: 31. Oktober: Reformationstag, Halloween oder einfach nur ein normaler Sonntag für evangelische Christen? Das Mittelhessenblog bezieht in der Regel eine neutrale Position, geht es um Glaubensdinge. Denn diese sind in der Regel Privat- und Familiensache, werden höchstens dann journalistisch interessant, wenn die Öffentlichkeit davon betroffen wird. Geht es um den 31. Oktober, so ist der Standpunkt des Mittelhessenblogs allerdings klar. Der 31. Oktober ist der Reformationstag, so wie der 6. Dezember Nikolaus oder am 24. Dezember Heiligabend. Darüber hinaus markiert der 31. Oktober 1517 noch etwas anderes: Die Weichenstellung für den unaufhaltsamen Marsch vom Mythen- und Legendenbeladenen Mittelalter in die Neuzeit, wenngleich selber ausgelöst durch eine Legende.
Um die Geschichte des 31. Oktober kurz anzureißen: An diesem Tag soll laut Philipp Melanchthon Martin Luther in Wittenberg seine 95 Thesen an die Schlosskirche von Wittenberg genagelt haben – eine Darstellung, die inzwischen auch in evangelischen Historiker und Theologenkreisen eher als Legende denn als tatsächliche Begebenheit betrachtet wird. Tiefergehende Informationen hierzu gibt es direkt auf der Seite Luther.de und in einem Artikel des Münchner Kirchenhistorikers Reinhard Schwarz vom 18. März 2007 im evangelischen Sonntagsblatt von Bayern.
Wie auch immer der historische Faktengehalt des 31. Oktober 1517 aber auch ist, ändert er nichts an den Folgen dieser Entwicklung auch für das spätere Geistesleben. So stieß Luther mit seiner Bibelübersetzung an, dass die bisherige Lingua franca an den deutschen Universitäten, nämlich Latein, nach und nach im alltäglichen Lehrbetrieb auf Deutsch umgestellt wurde. Der erste Hochschullehrer, der damit begonnen hatte, war der Hallenser Rechtsgelehrte Christian Thomasius. Das allerdings 170 Jahre nach Luther. Solange sollte es dauern, bis die Befreiung aus einer in vielfältiger Heiligenverehrung erstarrter, vorsätzliche Wissensunterdrückung betreibende und jegliche individuelle Verantwortung gegenüber dem Mitmenschen ablehnende katholische Kirche gelingen sollte. Dazwischen ein menschenfressender, landschaftzerstörender und kulturfressender Krieg, genannt der Dreißigjährige.
Dieser 31. Oktober steht deswegen im Grunde genommen für mehr als „nur“ einen öffentlichkeits-wirksamen PR-Gag eines durchaus eloquenten Mannes, der für seine Überzeugung auch der inquistorischen Befragung in Worms widerstand.
Dass Luther auf seinem Weg, die Kirche komplett aus der staatlichen Kontrolle zu lassen, auf halben Wege stehen blieb – er forderte im Gegensatz zu Jean Calvin, dass jeder Untertan seinem Fürsten gefälligst treu zu sein habe, tut der Sache keinen Abbruch. Mit der Rückführung der Religion auf das Wesentliche, nichts anderes bedeutete letztlich das Wort reformare (= zurückformen, zu den Wurzeln zurückfinden) wollten Luther und die anderen Reformatoren um Calvin und Zwingli nichts anderes als den Menschen dazu zu bringen, modern gesprochen, selbstverantwortlich zu handeln und für Fehler keine Ausflüchte zu suchen, sondern zu ihnen zu stehen und aus ihnen zu lernen. Das Resultat war am Ende eines Geisteshaltung.
Halloween dagegen steht für einen anderen Geist. Bis vor 16 Jahren spielte Halloween in Deutschland keine Rolle, sondern war allenfalls eine Randnotiz in der Rubrik Vermischtes in Tageszeitungen wert. 1991 wurde wegen des Golfkriegs damals der Karneval in Deutschland abgesagt. Das wiederum führte zu einem erheblichen Umsatzeinbruch der Spielwarenindustrie, über die auch Verkleidungszubehör verkauft wird. Um dem zu begegnen, drückte Anfang der 90er Jahre die Fachgruppe Karneval des Verbands der Deutschen Spielwarenindustrie Halloween aus rein kommerziellen Gründen in den deutschen Markt. Sich selbst schreibt die Fachgruppe mit einem stolzen Unterton auf die Fahnen, damit eine neue Tradition in Deutschland begründet zu haben. Wer das Original dieser Pressemitteilung lesen will, kann dies hier tun.
Diese Entwicklung entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Der Buß und Bettag, genauso wie der Reformationstag, ein zentraler Feiertag in der evangelischen Kirche, wurde abgeschafft, um die Arbeitgeber durch Mehrarbeit der Arbeitnehmer zu entlasten. Es ging um die Beiträge zur Pflegeversicherung. 1995 war der Buß-und Bettag schließlich abgeschafft, nach dem Reformationstag der zweite wichtige Tag der evangelischen Kirche.
2009 zog dazu der damalige EKD-Ratsvorsitzende Huber im Interview mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) eine Bilanz. Kern dieser Bilanz: Der erhoffte Effekt war ausgeblieben. Und damals hätten sich die evangelischen Christen zu wenig gewährt. Zum Reformationstag und Halloween bezog Huber klar Stellung: Halloween sei im Grunde inhaltsleer, die Kirche solle dies als Chance begreifen, Halloweenfeierer mit einem guten Angebot wieder neugierig auf die Kirche zu machen. Huber richtete damals einen Appell an alle 20 Millionen evangelische Christen in Deutschland: sich vehement für die Wiedereinführung des Reformationstags als Feiertag und Halloween wieder zu der Bedeutungslosigkeit in Deutschland zu verhelfen, die es einst hatte.
Etwas ratlos gab sich in dieser Frage das evangelische Dekanat in Gießen: Viele evangelische Christen hätten Halloween inzwischen integriert, eines schlösse das andere nicht mehr aus.
Näheres zu Christian Thomasius bei BR-Online
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