KURZGUCKER
Liebe Mittelhessenblogleser: „Und jetzt bauen wir ein Atomkraftwerk“: Dem Schreiber dieser Zeilen kommt der Loriotsketch vor, als wäre er erst gestern über den Sender gegangen. Gewiss, tatsächlich liegt die Ausstrahlung etwas zurück. Genauso wie die Proteste gegen Gorleben, Wackersdorf, und wenn man schon dabei ist, die Proteste gegen Mutlangen. Da ging es 1983 um die Stationierung von Atomraketen in Deutschland, Pershing-II-Raketen. Wie alt waren Bundeskanzlerin Merkel da eigentlich? Oder Guido Westerwelle, oder Norbert Röttgen?
Merkel war 1983 mit 29 Jahren bereits von ihrem ersten Mann geschieden, arbeitete an der Akademie der Wissenschaften der DDR. Den Trubel um die Pershingraketen dürfte sie erlebt haben, auch wenn damals noch DDR-Bürgerin, auch die Proteste, die Anfang der 80-er Jahre die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf verhinderten, dürfte die heutige Bundeskanzlerin noch im Gedächtnis haben. Desgleichen dürften ihr auch die Republik Freies Wendland und der Name Lüchow-Dannenberg ein Begriff sein: Die Republik Freies Wendland wurde 1980 aus Protest gegen die Arbeiten für die geplante Endlagerstätte in Gorleben errichtet. Und die Proteste müssten der Frau bekannt sein, die heute die Richtlinien der Politik bestimmt, die in den 70-er Jahren und zuletzt 1986 die damalige Bundesrepublik erschütterten, als es um den Bau des Atomkraftwerks in Brokdorf ging, das schließlich trotz aller Proteste ans Netz ging.
Die Proteste dieser Jahre, gegen die zivile und die militärische Nutzung der Atomkraft, legten letztlich den Grundstock für die Entstehung der heutigen Grünenpartei. Aber alles vergessen? An der Spitze der Republik und alles vergessen in Berlin? Nicht wirklich vorstellbar?
Und was ist mit dem erst so wortgewaltig gegen die Atomlobby vorgepreschten Bundesumweltminister Norbert Röttgen? Röttgen ist Jahrgang 65, hat drei Kinder. Er dürfte die Proteste also noch intensiver erlebt und verfolgt haben, war er damals doch selber Jugendlicher und junger Erwachsener.
Schließlich Guido Westerwelle: Auch er ist mit Jahrgang 1961 jung genug, diese Vorgänge noch plastisch vor Augen zu haben.
Allen drei dürften die heftigen Diskussionen, die quer durch die Gesellschaft gingen, noch in den Ohren klingen – so wohl wie jeden politisch einigermaßen interessiertem Menschen.
Was ist in diesen 30 Jahren dazugekommen an Erkenntnissen und Ereignissen? Störfälle in Deutschland, Frankreich, Großbritannien. 1986 schließlich der Supergau Tschernobyl. Und mit den Jahren immer mehr Fälle von Leukämie und sonstigen Krebserkrankungen im Einzugsbereich von Kernkraftwerken.
Was wollt Ihr machen, Ihr Merkels, Röttgens und Westerwelles dieser Republik, wenn plötzlich tatsächlich im dichtbesiedelten Rhein-Main-Gebiet oder an anderen AKW-Standorten ein Atomkraftwerk zur Bombe mutiert oder einem Absturz zum Opfer fällt?
Jeder Minister, jede Ministerin, nicht zuletzt Kanzler und Kanzlerin haben geschworen, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden – nur ein Papiertiger?
Dass die Atomlobby versucht, ihre Interessen durchzusetzen, ist aus Sicht der Lobby verständlich. Deswegen ist es die Lobby. Dass die Lobby aber auch Politik so unter ihre Fuchtel bringt?
Anscheinend war der Lockruf des Geldes größer als die Furcht vorm nächsten Wählerkreuz – Leben wir in einer Bananenrepublik Deutschland?
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