Corona nervt. Das normale Leben, das wir kennen, ist inzwischen im zweiten Jahr nicht oder nur eingeschränkt möglich. Wer nicht Beamter oder krisenfest Angestellter ist, durchlebt mehr Tiefen als Höhen beim Blick auf die eigene Gesundheit, die seiner Lieben, die wirtschaftliche Existenz. Jammern nutzt nichts, dachte Dirk Neubauer, Bürgermeister der sächsischen Kleinstadt Augustusburg und rief mit Unternehmern der Region das Projekt „Digitale Eintrittskarte“ ins Leben, das heute beginnt. In den Tagen vorher hat das Mittelhessenblog Bürgermeister in Mittelhessen gefragt, ob sie sich ein solches Modell auch für die fünf Landkreise vorstellen könnten. Inzwischen hat das Land Hessen Alsfeld im Vogelsbergkreis als Modellstadt für ein Öffnungsprojekt ausgesucht.
Im Deutschlandfunk hatte Neubauer über das Projekt der digitalen Eintrittskarte am 17. März berichtet, mit ein Weg aus dem „Locktown“ gefunden werden sollte. Vor allem um Hotels, der Gastronomie, dem regionalen Tourismus und Veranstaltern wieder den Weg in einen normalen Geschäftsbetrieb und Einwohnern und Besuchern der Stadt einen Teil des Lebens vor Corona ermöglichen zu können. Eigentlich hätte das vom sächsischen Sozialministerium abgesegnete Projekt schon längst beginnen sollen, doch eine steigende Inzidenzahl von über 100 hatte es wieder auf Eis gelegt. Nun, ab 1. April soll es damit losgehen.
System aus der Formel‑1 bekannt
Wie die digitale Eintrittskarte funktioniert? Wie Neubauer im DLF-Interview erläutert, ein System, das unter anderem seit „ewigen Zeiten bereits im Formel-I-Betrieb eingesetzt wird, um Zutrittskontrollen zu regeln“. In Augustusburg wurde nun daraus eine per E‑Mail versendete Eintrittskarte, die mit einem Schnelltest kombiniert wird und zum Beispiel in der Gastronomie problemlosen Einlass gewährt. Allerdings reichen als Schnelltests nicht die Tests aus, die man selber zuhause mit den Sets erledigen kann, die unter anderem Discounter verkaufen, sondern die Tests müssen von qualifizierten Kräften erledigt und dokumentiert werden. Also in lokalen Testzentren wie es sie jetzt seit kurzem etwa in der mittelhessischen Gemeinde Biebertal in Rodheim gibt oder in Eschenburg in der Mehrzweckhalle, wo in der Holderberg-Apotheke auch die vom Lahn-Dill-Kreis genehmigten Schnelltests geholt werden können. Über die Website der Apotheke kann auch online ein Testtermin gebucht werden.
Lieber auf Kreisebene
Biebertals Bürgermeisterin Patricia Ortmann findet das Modell aus Sachsen im Prinzip gut. Nur bezogen auf Mittelhessen und in der engeren Wahl, bezogen auf den Landkreis Gießen fände sie es eher besser, wenn es ein kreisweites Modell gäbe, damit es nicht zu einem Phänomen kommt, das noch aus dem ersten Pandemiejahr bekannt ist: Coronatourismus. Flugs dorthin, wo es kaum Beschränkungen gibt und das Virus dann wieder von neuem zuschlagen kann. Zwischenzeitlich hatte sie dann auf die Einrichtung des Testzentrums in Rodheim hingewiesen, das am 29. März unter der Leitung durch den DRK-Verband Marburg-Gießen seine Arbeit aufgenommen hat. Aber im Gegensatz zu Augustusburg haben die kreisweiten Inzidenzzahlen im Landkreis Gießen nun dazu geführt, das ab Karfreitag neben den ohnehin landesweit gültigen Coronaregeln nun auch wieder eine Ausgangssperre gilt, die ab 21 Uhr beginnt und bis 5 Uhr dauert. Wie in den benachbarten Kreisen Lahn-Dill und Limburg-Weilburg.
Für Eschenburgs Bürgermeister Götz Konrad hat das Augustusburger Modell ebenfalls seine Reize. Ähnlich wie sein sächsischer Kollege kritisiert er die deutschlandweite Pandemiepolitik, die eher von oben nach unten stattfinde und am Ende planlos sei : „Man denkt, das da versucht wird, das Pandemiepuzzle zu lösen ohne dass man wirklich ein Bild vor Augen hat“. Im benachbarten Landkreis Marburg-Biedenkopf sieht sein Amtskollege Georg Gaul in Lohra zumindest aus Veranstaltersicht keinen Anlass, auf kommunaler Ebene nun das Augustusburger Modell zu versuchen. Weniger, dass er dem nichts abgewinnen könnte. Eher deswegen, weil Einwohner der Marburger Südkreisgemeinde schnell in Gießen oder Marburg seien. Um in Lohra wieder ein lokales Veranstaltungsangebot auf die Beine zu stellen, etwa über Vereine, brauche es Nachwuchs. An dem mangele es.
In Alsfeld schließlich, so erklärt der Erste Kreisbeigeordnete und Gesundheitsdezernent des Vogelsbergkreises, Dr. Jens Mischak, am 31. März, herrschten „gute Voraussetzungen“ für die Modellkommune, weil der Kreis insgesamt eine „vernünftige Teststrategie“ habe. Allerdings müssen man die kritische Inzidenzmarke von 200 im Blick haben. So heißt es auf Website des Landkreises. Eine tiefergehende Auskunft zu den einzelnen Modellschritten auf Nachfrage steht noch aus. Auf der Website heißt es, nach der Entscheidung des Land Hessen sei noch am Nachmittag des 31. März „Kontakt zur Stadt “ aufgenommen worden.
Kommentiert: Was läuft schief in Hessen? Sicher sind die Bürgermeister in der Verwaltungshierarchie ganz unten. Dann kommen die Landräte, die über sich die Landesregierung haben. Nur wer kennt die örtlichen Bedürfnisse und Möglichkeiten besser? Kann flexibler reagieren, wenn es nötig ist? Es sind nicht die Landräte. Nicht weil sie nicht dazu in der Lage wären, sondern sie nicht überall gleichzeitig sein können. Die Corona-Pandemie zeigt es wie unter dem Brennglas. An Ort und Stelle lokale Testzentren einrichten, statt erst einmal wenige über die Landkreise verstreut. Die lokale Ärzteschaft und Apothekerschaft frühzeitig mit einbinden, das wäre ein Weg. Und schließlich auf die lokale Gastronomie, Touristiker , Hotelbetriebe achten, die alle in entsprechende Schutz- und Hygienekonzepte investiert haben und nun wieder vor der Ungewissheit stehen. In Sachsen gab es solche Konzepte schon vor vier Wochen, während in Hessen noch geredet wird. Das geht besser. Gebt den Kommunen mehr Spielraum.
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