Mittelhessische Unternehmen wecken an anderen Orten der Republik Begehrlichkeiten. Zu Beginn der 2000er Jahre war es Buderus in Wetzlar . Nun ist es Pfeiffer-Vacuum im Nachbarort Aßlar. Bei Buderus war es Bosch, heute ist es Busch. Beide Unternehmen aus Baden-Württemberg. Damit enden aber die Gemeinsamkeiten. Denn bei Buderus stimmten die Aktionäre mehrheitlich für die Übernahme. Während bei Pfeiffer-Vacuum von einer „feindlichen“ Übernahme die Rede ist. Hinzukommt, dass der langjährige Vorstandschef Manfred Bender Knall auf Fall vom neuen Aufsichtsrat vor die Tür gesetzt wurde. „Aus wichtigem Grund“, wie es offiziell heißt. Die rund 700 Köpfe zählende Belegschaft wartet nun gespannt darauf, wie es weitergeht.
Europa-AG kontrolliert nationale AG
Busch und Pfeiffer-Vacuum sind beides mittelständische Unternehmen, jeweils in ihren Sparten der Vakuum-Pumpenherstellung Weltmarktführer oder zu den führenden Unternehmen zählend. Nur: Das eine (Busch) ist eine nicht börsennotierte so genannte Europa-AG, offiziell Societas Europaea (SE). Dies allerdings, nach Eintragungen in diversen Auskunfteien, erst seit 24. Oktober 2016. Solche Gesellschaften unterliegen übergeordneten europäischen Rechtsnormen, die von nationalen Rechtsvorschriften abweichen können. Vorrangiges EU-Ziel bei der Schaffung dieser Rechtsform war 2004 bei Gründung von Gesellschaften in der EU oder im europäischen Wirtschaftsraum einen einheitlichen Rechtsrahmen zu schaffen.
Nach Ansicht des Deutschen Gewerkschaftsbundes ist diese spezielle Rechtsform eine Nische geblieben und habe sich nicht durchgesetzt. Das war vor vier Jahren. Von rund 1700 SE war die Rede. Aktuell, zum Stichtag 29. November 2017, registriert das Europäische Gewerkschaftsinstitut Etui auf seiner Datenbank 2903 neue SE. Also rund 1200 weitere neue SE.
Das Maulburger Unternehmen, das nach dieser Änderung seiner Rechtsform seinen Sitz laut offiziellem Eintrag in der Etui-Datenbank in Freiburg hat, sitzt tatsächlich, laut Impressum seiner Website mit allen drei GmbH-Gesellschaften nachwievor in Maulburg. Auf einer anderen Seite des Unternehmens wird auch auf die SE hingewiesen. Die hat demnach ihren Sitz auch in Maulburg. Die Kontrolle des 1963 von Karl Busch gegründeten Vakuum-Pumpenherstellers liegt komplett in den Händen der Unternehmerfamilie. Zahlen, Hinweise auf die wirtschaftliche Entwicklung findet man auf der Website des Unternehmens bisher vergeblich. Rechtlich ist es allerdings so, dass auch eine Europa-AG einmal im Jahr ihre Zahlen veröffentlichen muss. Darauf weist unter anderem die IHK Frankfurt hin.
Wie es transparenter mit Impressumsangaben und Geschäftszahlen im Sinne der rechtlichen Vorgaben gehen kann, das zeigen unter anderem die Allianz und Fresenius aus Bad Homburg. Beides inzwischen Unternehmen, die für sich auch die Rechtsform der SE gewählt haben . Laut einer Veröffentlichung des Handelsblatt werde die neue Rechtsform allerdings bevorzugt von Familienunternehmen gewählt. Ein Motiv sei, dass sie ihr Geld lieber nicht mehr Banken überlassen wollten, sondern es lieber über SE-Vermögensverwaltungs- und Beteiligungsgesellschaften für sich arbeiten lassen wollen.
Der mittelhessische Vakuum-Pumpenhersteller hat nun offensichtlich mit seiner Entwicklung nicht nur das finanzielle Aktionärs-Interesse des Pumpenherstellers aus dem Süden der Republik geweckt: Mit seiner Tochter Ayla Busch als neuer Aufsichtsratvorsitzender hat Karl Busch nun faktisch die Kontrolle über Pfeiffer-Vacuum. „Das zog sich ja nun schon über gut 18 Monate“, kommentierte aus Gewerkschaftssicht der erste Bevollmächtigte der IG Metall Mittelhessen, Stefan Sachs. Das Asslarer Unternehmen stehe wirtschaftlich mehr als gut da. Es sei in Topform, sehr gesund. In zwei Anläufen hatte Busch versucht, über Aktienkäufe Einfluss auf Pfeiffer-Vacuum zu bekommen. In der Wirtschaftsfachpresse wurden diese Versuche unterm Strich als „feindliche Übernahme“ bewertet.
Wie es nun mit den rund 700 Mitarbeitern der Stammbelegschaft in Asslar weitergehen soll, insbesondere, ob sich Busch, der im eigenen Haus ohne tarifvertragliche Vereinbarungen auskommt, an die in Asslar geltenden Tarifvereinbarungen hält, „das beobachten wir“. „Wir wollen zwar keinen Kampf, aber wir scheuen uns im Ernstfall auch nicht davor“, so Sachs auf Nachfrage. Aus Maulburg zumindest berichten Brancheninsider, „dass es so etwas wie tarifähnliche Regelungen gibt. Weihnachts- und Urlaubsgeld etc..Nur eben, einfach ausgedrückt, alles auf freiwiliger Basis, ohne wirklichen Rechtsanspruch“. In Asslar blicke man jedenfalls vorsichtig optimistisch in die nähere Zukunft.
Was als positives Zeichen gewertet wird, sei das Vorgehen bei der Neubesetzung des Vorstands. Mit Dr. Eric Taberlet wurde jemand an die Spitze gesetzt, der wie der „aus wichtigem Grund“ gekündigte bisherige Vorstandschef Manfred Bender auch von Pfeiffer Vacuum selber kommt. Ebenfalls ein Eigengewächs ist Nathalie Benedikt, die ab sofort für das Controlling (Finanzen) im Vorstand als CFO zuständig ist.
Offiziell wurde Bender aus „wichtigem Grund“ ohne nähere Erläuterung nach dem Wechsel im Vorsitz des Aufsichtsrats fristlos entlassen. Grundlage dafür ist rechtlich der §626 BGB. In der Praxis beschreiben einschlägige Fachkanzleien Gründe für eine Vorstandskündigung mit schwerwiegenden, im äußersten Fall, auch strafbaren Handlungen, die dem Unternehmen schaden oder geeignet sind, das Vertrauensverhältnis zu erschüttern. Bender hatte noch im Mai 2017 vor der Hauptversammlung in einem Interview öffentlich das Vorgehen der süddeutschen Unternehmerfamilie als „Trickserei“ und gegen das Unternehmens-Interesse gerichtet bezeichnet. Bereits im Oktober war der bisherige Aufsichtsratsvorsitzende Dr. Michael Oltmanns seiner Absetzung durch Rücktritt zuvorgekommen.
Die jetzige Aufsichtsratsvorsitzende Ayla Busch hatte ihm mangelnde Professionalität, fehlende Unparteilichkeit und wirtschaftliche Eigeninteressen vorgeworfen. Bender hatte in seinem Interview im Mai 2017 zu diesen Vorwürfen Stellung genommen. Zum einen seien die Vorwürfe durch die Kanzlei Hengeler Müller (Düsseldorf, Red. Anmerkung) geprüft worden und hätten sich als haltlos erwiesen. Dazu muss man wissen, dass Hengeler Müller Pfeiffer Vacuum beim zweiten Übernahmeversuch durch Busch beraten hatte. Auf der anderen Seite steht Benders Hinweis, dass Busch zum einen über den Ausgang dieser Untersuchung Bescheid gewusst habe und andererseits Oltmanns Wiederwahl in den Aufsichtsrat 2016 selber noch zugestimmt hätten.
Kommentiert: Ältere Mittelhessenblogleser werden sich vielleicht noch an die US-Wirtschaftsoperas Dallas und Denver erinnern, wo auch mit heftigen Bandagen um Macht und Marktanteile gerungen wurde und mitunter Gesetze für die eigenen Zwecke hingebogen wurden. Nun ist das drei Jahrzehnte her und spielte in den USA. Nun, scheint’s, spielen sich solche Szenen rund um die Chefetage eines bekannten mittelhessischen Hidden Champions (2011) ab. Sicher: Was rechtlich zulässig ist, kann nicht als illegal angefochten werden. Nur: Klingt schon die Auftaktmusik beim Kampf um ein Unternehmen schräg, fragt sich, wie es dann ist, wenn der eigentliche Einsatz kommt. Sprich: Faktisch neue Eigentümer (oder tonangebende Großaktionäre) die Zügel in der Hand halten. Kann man ihnen trauen oder nicht trauen?
Renate meint
Wo du die Zeit für die tollen Reseachen her nimmst frag ich mich! Danke für die tollen Artikel