„Ich möchte nicht, dass Sie sagen, wer ich bin und wo das Kreuz zu finden ist“, bat die Mittelhessin, als wir sie nach Herkunft des in seiner Schlichtheit auffälligen Feldkreuzes fragten. Sie fürchte „Vandalismus“. Allerdings nicht von Flüchtlingen. Eine renommierte Sprachforscherin warnt dagegen vor dem Wort „Flüchtling“. Das vermittle den „automatischen Eindruck von ‚Aggresivität und Stärke‘ „.
Sie habe das Kreuz gestiftet, den Bauern gefragt, ob sie das dürfe. Er habe zugestimmt, erzählt die alte Dame. „In unserer Zeit sollte man vielleicht doch auf Gott hinweisen. Viele Menschen gehen doch sehr unachtsam mit sich, ihren Nächsten und ihrer Umwelt um“ nennt sie ihr Motiv, ein Kreuz zu stiften. Es steht nicht versteckt im Wald wie das Gipfelkreuz am Hemmerich sondern auf freier Feldflur, auf einer Hochfläche, von der Wanderer und Reiter ins mittelhessischen Bergland blicken können.
Sie erzählt ihre Sorge vor den „vielen Windrädern um uns herum“. Das könne doch auf Dauer nicht gut sein. „Hätten Sie denn dann lieber Atomkraft?“ „Ich weiß nicht, aber rings um uns herum werden Atomkraftwerke gebaut oder sind in Betrieb. Ob wir unsere abschalten oder nicht – das ändert am Ende doch nichts. Und hier, bei den Windrädern, was ist denn mit Vögeln oder den Geräuschen, die man hört,wenn man in der direkten Nähe wohnt? Am Ende ist die Atomkraft doch vernünftiger. Die läuft wenigstens zuverlässig. Und wirklich passiert ist bei uns ja nie etwas“, so die alte Dame.
Sie ist ebenfalls hin und hergerissen bei der Frage nach dem Schicksal der Flüchtlinge. Aber Angst hat sie nicht davor, dass von ihnen irgendeine Gefahr aus geht. Sie habe ja selber den Krieg erlebt. Sie fürchte nur, dass sich einiges verändern könne. Es wäre alles sehr ungewiss. Wovor sie eher Angst hat, sind Zerstörungswut und sinnlose Streiche, etwa wenn der genaue Standort des Feldkreuzes bekannt wird, dass sie dem Bauern und ihrer Gemeinde gestiftet habe. Sie freue sich daran, wenn sich immer wieder mal Menschen dort einfänden und still ein wenig Trost in turbulenten Zeiten spüren würden und doch wieder Zuversicht verspürten.…
Einen zumindest sprachlich anderen Blick auf den „Flüchtling“ hat eine andere, wesentlich jüngere Frau als die alte Mittelhessin. Diese jüngere Frau ist im Gegensatz zu ihr zumindest in journalistischen, medien- und politikwissenschaftlichen Kreisen um einiges bekannter: Elisabeth Wehling. Die Sprachforscherin fordert in ihrem Buch „Politisches Framing – wie eine Nation sich ihr Denken einredet und daraus Politik macht“ einen anderen Umgang mit den Worten der deutschen Sprache mit Hinblick auf deren Wirkung. Wehling, die in Kalifornien lehrt, hat dabei ihr wissenschaftliches Handwerkszeug auf die deutsche Sprache angewandt. Ihr Buch wird unisono von aktiven und ehemaligen führenden Politiker der Grünen und der SPD sowie von führenden Kollegen und Kolleginnen aus der Medienbranche gelobt.
In der ZEIT wurde ein Artikel zu ihrer Forderung, das Wort „Flüchtling“ als Journalist nicht zu verwenden, in einer Vorabmeldung von ihr so begründet: „„Die Endung ‚-ling’ macht diese Menschen klein und wertet sie ab.“ Da ‚der’ Flüchtling zudem männlich sei, würden männliche Merkmale betont, man denke automatisch eher an stark und aggressiv als an hilfsbedürftig“ , so die Kollegen der ZEIT mit ihrem Wehling-Zitat. Die Sprachforscherin empfehle dagegen, lieber das Wort „Flüchtende“ zu verwenden oder eben vom flüchtenden Mann, der flüchtenden Frau oder dem flüchtenden Kind zu sprechen.
Kommentiert:
Die Frage ist, ob die vielleicht gut gemeinte Absicht der Wehlingschen Wortdeutung am Ende doch eher ein sprachlicher Bärendienst ist. Denn: Das Bild vom „aggressiven und starken“ Flüchtling vermitteln doch eher die, die gerade vehement wahlkämpfend gegen Flüchtlinge zu Felde ziehen. Zumindest jene Mittelhessin hatte zu dieser Thematik eine klare Meinung: „Wer in Not ist, dem muss geholfen werden.“ Das Wort „Flüchtling“ nun ausgerechnet mit Vokabeln zu belegen, die eher zur Beschreibung einer angreifenden militärischen oder paramilitärischen Einheit geeignet sind, strahlt indes eine Phantasie aus, deren Ursprung nur Elisabeth Wehling selber erklären kann.…
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