Hat das Studentenwerk in Gießen nun vor 15 Jahren einen Künstler veranlasst, ein islamkritisches Bild aus einer Ausstellung in der Mensa zu entfernen oder nicht? Der Künstler hat diese Erfahrung gegenüber dem Mittelhessenblog mehrfach bestätigt, unter anderem schriftlich. Das Studentenwerk will, ebenfalls schriftlich, von dem Fall nichts wissen. Die Geschichte geht so:
Das gesellschaftliche Klima
2000 war noch alles anders. Daran, dass plötzlich jeder, der einen dunklen Bartschatten und eher dunklere als hellere Haut hat, unter Generalverdacht genommen wurde, weil er möglicherweile ein islamistischer Attentäter sein könnte, daran war nicht zu denken. Im Gegenteil: Bedingt durch die Neuregelung des deutschen Staatsbürgerrechts wurde den Nachkommen muslimischer Einwanderer die deutsche Staatsbürgerschaft angeboten. Das wiederum setzte dann eine öffentliche Debatte über die öffentliche Sichtbarkeit muslimischer Symbolik im öffentlichen Raum in Gang, heißt es in einem entsprechenden Beitrag über die Geschichte des Islams in Deutschland seit dem Jahr 1945 in der Wikipedia, der allerdings an einigen Stellen noch mit Verbesserungshinweisen markiert ist . Nur an eine automatische Opferrolle, die dann gerade erst das Bewusstsein stärkte Muslim zu sein, daran war nicht zu denken.
Das sollte sich erst nach dem 11. September 2001 ändern. In einer Veröffentlichung der Bundeszentrale für politische Bildung heißt es dazu acht Jahre später: „Parallel dazu können Desintegrationserfahrungen auch zum Erstarken neuer Identitätsmuster führen. So ist innerhalb der muslimischen Communities in Deutschland und Europa das Entstehen einer islamischen Neo-Identität zu beobachten, die sich teilweise durch Abgrenzung zum Deutschsein und durch ein ostentatives Bekenntnis zum Islam definiert, ohne jedoch Gewalt auszuüben. Der angenommene „Neo-Islam“ entspricht jedoch keineswegs den traditionellen Lebensformen der Elterngeneration. Vielmehr schaffen sich junge Muslime auf diese Weise eigene Räume, in denen sie – losgelöst von den traditionellen Vorstellungen – eigene, biographisch variable Vorstellungen verwirklichen können“. In den deutsch-türkischen Nachrichten formuliert der Politologe und Historiker Yasin Bas dies am 13. Jahrestag des Attentats auf das Welthandelszentrum (WTC) in New York schärfer: Muslime und Islam als neues Feindbild nach Ende des Kalten Krieges?
Die Gießener Zensur
Nur von dieser Debattenverschärfung, dem Schärfen eines eigenen muslimischen Bewusstseins kann im Jahr 2000 noch keine Rede. Dennoch machte der in der Region zwischen Gießen und Marburg verwurzelte Künstler Arpan sich bereits im Jahr 2000 seine Gedanken über Entwicklungen, die etwa die Ausrichtung einr Fußballweltmeisterschaft in einem arabischen Staat mit sich bringen könnte und verarbeitete das in einer Collage, die Teil einer Ausstellung werden sollte mit insgesamt 38 eigenen Werken – die erst im damaligen Psychatrischen Krankenhaus in der Licher Straße und dann noch in der großen Mensa der Uni Gießen gezeigt werden sollte.
Im Kern der Ausstellung sollten eigentlich zwei Dinge gezeigt werden: Wie Altpapier anstatt im Recyclingprozess zerschreddert zu werden zu Kunst werden kann – in Arpans Fall durchaus auch mit politischen Aussagen verbunden. Wie dies aussehen kann, erklärt der Künstler auf seinem Blog in seinem Kapitel „Alles Lüge?“
Das Bild, das nun der Dreh und Angelpunkt dieser Geschichte ist, zeigt die Kaaba. Darauf montiert ein überdimensionales Bierglas. Darum drapiert ein fröhlich winkender Alfred Biolek, Colaflaschen als Symbol für die durch den american way of life bestimmte westliche Lebenart und quasi als Gegenentwurf Boulespieler. Boule steht bekanntlich wie Rotwein und Baguette als Symbol für französische Lebensart, sozusagen die kontinentaleuropäische Antwort auf die Dominanz des angloamerikanischen Kultureinflusses.
„Einblick in Liste nicht zielführend“
Exakt dieses Bild nun habe Proteste hervorgerufen, weswegen er, nachdem es einige Tage in der Mensa gehangen h abe, gebeten worden sei, dieses Bild wieder zu entfernen. Was er auch getan habe. Zwar unter Protest, aber er habe es getan. Aus Ärger habe er das Bild dann hinterher „Kampf der Kulturen“ genannt. Gegen das Bild hatten aber weder Interessenvertreter des Managements von Alfred Biolek oder US- oder Frankreichfans protestiert, die sich möglicherweise in ihren Gefühlen verletzt gesehen hätten – sondern der Protest sei von muslimischen Studenten gekommen oder zumindest aus dem muslimischen Umfeld. Das sei ihm so von seiner damaligen Kuratorin mitgeteilt worden, mit der er dann das Bild wieder abgehangen habe. Dafür sei er dann eigens noch einmal zur Mensa gefahren. Die Kuratorin sei inzwischen allerdings inzwischen verstorben.
Das Studentenwerk nun bestätigte, dass es tatsächlich die Ausstellung Arpans in der Mensa gegeben habe. Die Aufforderung, das Bild aus der Mensa zu entfernen, könne man allerdings nicht nachvollziehen. Susanne Gerisch, Leiterin der Marketing- und PR-Abteilung des Studentenwerks dazu:
„Es handelte sich um 38 Exponate, die vom Studentenwerk Gießen für den Zeitraum dieser Ausstellung versichert wurden. Dazu liegt uns eine Liste aller Exponate mit deren jeweiligen Wert vor. Auf dieser Liste befindet sich nicht das von Ihnen benannte Bild. Daher wurde dieses nicht bei uns ausgestellt. Unsere Recherchen in den zur Ausstellung zugehörigen Dokumenten lassen keinen Rückschluss auf den von Ihnen zitierten Vorgang zu. Da die damals zuständige Mitarbeiterin nicht mehr im Haus ist, kann sie leider nicht mehr zu diesem Thema befragt werden.“
Die Bitte, die Versicherungsliste mit den aufgeführten Bilder sehen zu dürfen, lehnte Gerisch als „nicht zielführend“ ab. Anhand der Liste hätte er, so Arpan, eindeutig den Bildnamen herausfinden können. Zwischenzeitlich allerdings hatte er sich an den Bildnamen erinnert: „Pokalendspiel sponsored by…“ habe er das Bild damals benannt. Das Bild befinde sich heute noch in seinem Besitz, da er es nach dieser Ausstellung dann nie mehr ausgestellt habe.
„Kunst sollte alles dürfen“, sagt Arpan. Dies sei ihre Aufgabe. Gerade die kritische Begleitung und Betrachtung weltanschaulicher Überzeugungen. „Da ist das egal, ob das nun um Christentum, Judentum, den Islam oder meinetwegen auch nationale Überzeugungen geht. Die kritische Auseinandersetzung damit muss man in einer Demokratie aushalten“, so der Künstler. Damals, vor 15 Jahren sei es ihm aber eher um die Frage gegangen, wie es wird, wenn die Fußballweltmeisterschaft oder ein anderes zentrales Sportereignis in einem arabischen Land ausgetragen werde. Und es sei ihm darum gegangen, wie mit Bildern letztlich auch Aussagen verändert, manipuliert werden können – und damit die Reaktionen und Gedanken von Menschen.
Wie würde sich das Studentenwerk heute entscheiden? Die Entscheidung würde im Rahmen der geltenden Gesetze zu Kunst- und Meinungsfreiheit sowie im Sinne des Grundgesetzes ausfallen, teilte Gerisch mit.
Kommentiert:
Die aktuellen Ereignisse haben nun Arpans Visionen und sein Bild ebenfalls wieder aktuell werden lassen: 2015 findet die Handball-WM in Katar statt. 2022 soll die Fußball-Weltmeisterschaft in dem arabischen Land stattfinden. Die Debatten über den Islam, darüber, welcher Islam nun zu Deutschland gehört und auf der anderen Seite, ob nun eine Islamisierung Deutschlands droht, sind voll entbrannt. Das Attentat auf die französische Satirezeitung Charlie Hebdo hat dieser Diskussion zusätzliches Tempo verliehen.
Inzwischen befürchtet SPD-Generalsekretärin Fahimi eine Spaltung der Gesellschaft und fordert dazu auf, die im Spätsommer 2014 entstandene Protestbewegung Pegida weder zu untersützen noch so zu nennen, währenddessen inzwischen auch Parteichef Gabriel eher den Dialog mit Pegida für ratsam hält. Wenn auch vorest offiziell nur als Privatmann.
- auf der anderen Seite stehen die trotz aller offiziellen Verlautbarungen und angesetzter Pressetermine zu gelungener Intergration die bekannten Parallelwelten – zu denen bisher allerdings höchstens hinter vorgehaltener Hand verantwortliche Entscheidungsträger aus dem Bildungs‑, Arbeitgeber- und Gewerkschaftsbereich in zurückliegenden Jahren zu Antworten zu bewegen waren.
Die Weigerung des Studentenwerks Gießen, Einblick in die Liste zu gewähren, ist in dem Zusammenhang eher ein interessantes Nebendetail. Denn als Körperschaft des öffentlichen Rechts ist das Studentenwerk der Presse gegenüber auskunftsverpflichtet. Im Einzelfall eben auch dazu, Einblick in Unterlagen zu gewähren.
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