[Redaktionelle Vorbemerkung: Berichterstattungen über Pegida und deren Gegner provozieren in jüngerer Vergangenheit Reaktionen, die meistens Partei für die eine oder andere Seite ergreifen. Wird auf entsprechende Seiten im Internet verlinkt, führt dies ebenfalls zu Protesten. Die Mittelhessenblog-Redaktion hält es für angebracht, im Zuge transparenter Darstellung auf diese Originalquellen zu verlinken. Damit wird allerdings weder für noch gegen die jeweiligen Positionen Stellung bezogen. Dies bleibt einem Kommentar vorbehalten. ]
Die gute Nachricht zuerst: Die Mittelhessen scheinen in Sachen Pegida noch gelassen zu sein. Zumindest sei davon aktuell noch nichts zu merken. Dennoch beobachte der Staatsschutz die einschlägig bekannten Personen aus der rechten Szene, sagte Polizeisprecher Martin Ahlich (Polizeipräsidium Mittelhessen). Die andere Nachricht: Die Gelegenheit, Antworten auf Fragen nach ihren Motiven zu geben, haben die Köpfe hinter der hessischen Pegida bislang nicht genutzt. Insgesamt aber, blickt man auf die Entstehungsgeschichte von Identitären und nun Pegida, zeigt sich Mittelhessen als eine der Keimzellen dieser neuen Protestform. Das zumindest spiegelt der Blick auf angemeldete Facebookseiten wider.
Die Identitären und Pegida
Wer einen Blick in die sozialen Medien wirft, bekommt einen anderen Eindruck von der Stimmungslage. Die Zustimmung zu den Forderungen von Pegida wächst. Von Ruhe kann dort keine Rede sein. Die ZEIT hat bei dem Meinungsforschungsinstitut YouGov dazu eine repräsentative Umfrage unter den deutschen Pegida-Anhängern beauftragt. Danach unterstützt inzwischen ein Drittel Pegida „voll und ganz“, 19 Prozent stehen zumindest teilweise hinter den Zielen, weitere 26 Prozent sind noch unentschlossen. Die Zahl der absoluten Gegner beträgt 13 Prozent, die der teilweisen Kritiker liegt bei zehn Prozent. Die Umfrage fand in der dritten Adventswoche statt. Wertet man die identitäre Bewegung indes als Wegbereiter, so kann Mittelhessen zumindest als eine der Keimzellen in Deutschland betrachtet werden. Zustimmung zu den Aktionen der Pegida findet sich bisher regelmäßig auf den einschlägigen Facebookseiten.
Die „Identitäre Bewegung Lumdatal/Kreis Gießen“ hatte bereits am 25. November auf ihrer Facebook-Seite auf die Protestmärsche in Dresden hingewiesen und dies entsprechend kommentiert: „Dresden zeigt wies geht, wir sind das Volk“. Die Identitären haben ihre Wurzeln in Frankreich. Sie sind dort 2002 als „bloc identitaire“ entstanden. Die Ziele gleichen dem, wofür nun auch die Gründer der Pegida werben: Sie treten ein für die jeweils nationale oder europäische Identität, darüberhinaus wollen sie sich einer „Islamisierung“ ihrer jeweiligen Länder entgegenstellen. Und sie wehren sich dagegen, mit Extremisten in einen Topf geworfen zu werden. So beschwerte sich der IDB-Bundesverband in der Vergangenheit gegen eine entsprechende Darstellung im Fernsehen (Stellungnahme zu Frontal 21 4. November). Gleichwohl gibt es auch den Hinweis, dass der Name „zumindest“ einmal in der Tageszeitung erwähnt wurde. In der Fuldaer Zeitung.
Allerdings war in der gleichen Zeitung 2013 eine Warnung vor dieser neuen Bewegung erschienen. Sie diene Neonazis und Altnazis, sich zu tarnen und mit vermeintlich unverfänglichen Botschaften vor allem Jugendliche zu ködern. Dies werde so vom Netzwerk Jugendschutz.net erklärt. Aktuell, seit dem Pegida sich immer weiter entwickelt, hat sich zumindest auf dieser Seite, die Jugendliche vor rechtsextremen Tendenzen schützen soll, nichts mehr getan. Die Warnung vor den Identitären stammt aus dem Jahr 2013. Die jüngste aktuelle Veranstaltung war eine Pressekonferenz im August 2014 über Neonazis im „Social Web“. Exakt gegen diese Vorwürfe, mit Neonazis oder generell Extremisten an einem Strang zu ziehen, wehren sich die Identitären oder auch jetzt die Anhänger der „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“. Die Anfänge dieser Entwicklung, die von den Kritikern den Neurechten zugeordnet werden, reichen bis ins Jahr 1998 nach Frankreich zurück. In diesem Jahr gründete sich die Unité radicale, eine Gruppierung, deren Wurzeln im Umfeld des Front National zu suchen sind. Nur vier Jahre später sollte die Gruppe nach einem Anschlag auf den damaligen französischen Präsidenten Jaques Chirac am französischen Nationalfeiertag, dem 14. Juli verboten werden. Kurz danach gründete sich der bloc identitaire, der nach eigenen Angaben einerseits andere Völker achte, andererseits „Europa wieder seine Grundlagen“ zurückgeben wolle. Den zeitlichen Verlauf dieser Entwicklung, die dann mit gut zehnjähriger Verspätung nach Deutschland kam und die Zusammenhänge zwischen den Identitären und Pegida zeigt, ist auf dieser Grafik zu sehen:
Polizei antwortet – Pegida schweigt
Am 26. November fragte das Mittelhessenblog angesichts der Sympathiebekundung des Gründers der hessischen Facebookseite für Pegida für Proteste gegen „radikale Flüchtlingsforderungen“ in der Hochtaunusgemeinde Weilrod, ob Pegida nun vor den Türen Mittelhessens stehe. Das hessische Erstaufnahmelager für Flüchtlinge in Gießen ließ zumindest diese Vermutung zu. Polizeisprecher Ahlich reagierte damals mit Nichtwissen. „Was soll Pegida sein?“ Die Dresdener Proteste waren damals schon rund einen Monat alt, Kontakte in den Westen waren schon geknüpft. Ob der Staatsschutz über Pegida-Aktivitäten in Mittelhessen Bescheid wisse, wolle er klären. Gleichzeitig stellte das Mittelhessenblog eine gleichlautende Anfrage auf mehreren Kanälen an Pegida-Verantwortliche. Zum einen um den direkten Kontakt zu regionalen Verantwortlichen zu bekommen, zum anderen, um anders als über soziale Netzwerke direkt mit Befürwortern zu sprechen, Demonstrationsteilnehmern etc. Während inzwischen eine Stellungnahme der Polizei für den Raum Mittelhessen vorliegt, ziehen es die Anhänger der Pegida-Bewegung trotz aller in den sozialen Netzwerken formulierten Kritik an den Medien vor, nichts zu sagen, jedenfalls nicht auf Fragen zu antworten.
ZDF wählt Undercoversatire – NDR sitzt RTL-Reporter auf
Inzwischen gab es zumindest bei ARD und ZDF verschiedene Ansätze, um Pegida-Unterstützer zu Wort kommen zu lassen. Wobei die Methoden unterschiedlich waren. Mit Carsten van Ryssen als vermeintlichem Russia-Today-Reporter zog die heute-show die Pegida-Bewegung direkt in die Politsatire. Mit der Zielsetzung, Pegida-Anhänger pauschal das Etikett dumpfgeistiger Zeitgenossen anzuhängen. Die ARD, hier der NDR wählte einen anderen Weg und ließ Teilnehmer unkommentiert ihre Motive erläutern. Allerdings musste der NDR kurz nach der Ausstrahlung einem RTL-Kollegen aufgesessen zu sein, der sich als Pegida-Demonstrant ausgab und sich in einer Art äußerte, die sonst eher im rechtsextremen Lager zu suchen sind. Inzwischen hat RTL den Vertrag mit seinem Mitarbeiter gelöst.
Kontakte zwischen Mittelhessen und Dresden
Zumindest die Motive mancher Teilnehmer lassen sich aus eigenen Reaktionen auf länger zurückliegende Fragen an Vertreter mittelhessischer Unternehmer, Gewerkschaftsvertreter und Bildungsträger nachvollziehen. Gefragt nach der tatsächlich gelebten Integration von Einwandererfamilien aus dem vorwiegend arabischen und kleinasiatischem Raum, etwa als Arbeitgeber für Arbeitnehmer und Lehrlinge mit deutschem oder sonstig europäischem Hintergrund taten sich die Gesprächspartner schwer, offiziell dazu Stellung zu nehmen oder Beispiele für eine gelungene Integration zu nennen. Ebenso ist es schwer bis unmöglich eine Antwort von den hiesigen Ansprechpartnern der jeweiligen muslimischen Gemeinden zu erhalten ‑abgesehen von offiziellen Presseterminen oder Tagen der offenen Tür. In der Regel laufen Bandansagen oder der Anrufer wird schlicht aus der Leitung geworfen. Transparenz sieht auch in diesem Fall anders aus.
Ob es im mittelhessischen Raum zu Demonstrationsaufrufen wie für Kassel oder Frankfurt kommen wird, bleibt fraglich. Zumindest, wenn man den jeweiligen Aufrufen bei Facebook folgt, gab und gibt es Unterstützer und Teilnehmer aus dem mittelhessischen Raum auch bei den Montagsdemonstrationen in Dresden. Die wiederum kommen zumindest aus einem Milieu, das der rechten Szene zugeordnet wird. Es sind Burschenschaften aus dem Lager der Deutschen Burschenschaften wie die Marburger Germanen und die Dresdensia Rugia in Gießen. Die Seite „Burschenschafter packt aus“ berichtete am 8. August über eine Große Anfrage der hessischen SPD, ob diese mittelhessischen Burschenschaften neben anderen vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Das zentrale Anliegen sowohl der Identitären wie jetzt auch der Pegida ist, Europa und seine jeweiligen Regionen in ihrer Identität zu erhalten, den Einfluss des Islam zurückzudrängen. Das Stichwort heißt Ethnopluralismus. Dieser besagt, dass Völker, Nationen, ihre unterschiedlichen Entstehungsgeschichten, Kulturen, Mentalitäten haben, die es zu erhalten gelte. Zum überwiegenden Teil wird dies heute der so genannten Neuen Rechten zugeordnet. Gegen diese Einordnung wehren sich sowohl die Identitären wie auch die Köpfe und Anhänger von Pegida. Als Gegen-Argument werden häufig Zitate grüner und sozialdemokratischer Politiker gebracht, deren Tenor auf die Abschaffung Deutschlands ziele oder eben die Islamisierung Deutschlands. Als Beleg hierfür wird gerne ein Zitat des heutigen Grünen-Vositzenden Cem Özdemir aus einem Interviw mit Hürriyet aus dem jahr 1998 gebracht, worüber der Focus berichtet hatte. Danach habe Özdemir gesagt, was „unsere Urväter vor Wien nicht geschafft haben, das schaffen wir heute mit unserem Verstand.“ Das Mittelhessenblog hatte versucht, ebenfalls hierzu eine Stellungnahme zu erhalten. Bisher erfolglos. Das Portal Wikiquote befasst sich mit der Echtheit und Glaubwürdigkeit von Zitaten. Joschka Fischer, der heute bekanntermaßen als Berater in einem Industrieumfeld arbeitet, das seiner politischen Vergangenheit völlig entgegensteht, wird dort mit einer Reihe von Zitaten in Zusammenhang gebracht, die heute Wasser auf die Mühlen von Pegida und Co sein dürften. Unter dem Sammelbegriff „Deutschenfeindliche Zitate“ finden sich diese Zitatensammlungen auf Portalen wie dem Honigmann oder werden auch gerne bei PI angebracht. Dem gegenüber stehen Erfahrungen wie eben dem Verweigern oder zumindest Nichtreagieren auf Anfragen zu diesen Vorwürfen.
Kommentiert
Spagat zwischen Helfen wollen und dem Angst vorm Fremden.
Tatsache ist, dass gerade Deutschland aufgrund seiner Lage von jeher ein Durchzugsland ist.
Tatsache ist , dass die Aufnahme von Glaubensflüchtlingen in Deutschland Tradition hatte, Tatsache ist ebenso nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs die Verankerung des Asylrechts im deutschen Grundgesetz.
Tatsache ist aber auch, dass es nicht mehr klar zu sein scheint, wer nun ein echter politischer Flüchtling ist, um sein Leben fürchten muss,
oder wer lediglich vor den wirtschaftlichen und klimatischen Bedingungen in seiner Heimat flieht. Die Lage ist alles andere als einfach.
Allerdings war sie in Deutschland auch in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg nicht einfach, als Millionen Vertriebene aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten in der jungen Bundesrepublik untergebracht werden sollten. Mit offenen Armen wurden sie nicht empfangen. Von ihren eigenen Landsleuten. Eine Tatsache, die heute ebenfalls gerne verdrängt wird, da sie das Bild der offiziell gepflegten Willkommenskultur möglicherweise stören könnte.
So oder so: Es gibt eine Menge an Fragen ‑an diejenigen, die Pegida und Co für notwendig halten, an diejenigen, die dagegen halten.
Klar ist, dass es einen Unterschied gibt, ob man gewohnt ist, dass unterschiedliche Kulturen das Straßenbild beherrschen, der Klang unterschiedlicher Sprachen ebenfalls oder ob man es für ein exotisches Ereignis hält, wenn plötzlich Menschen mit anderer Hautfarbe, anderer Kultur, anderer Sprache und anderem Glauben kommen und direkte Nachbarn werden. Insofern sind Dresden und Gießen, Weilrod oder Hoyerswerda überall. Dieser Knoten muss gelöst werden.
Und dafür sollten diejenigen reden, die zur Zeit Angst haben. Ihre Sorgen auf den Tisch legen. Und die anderen sollten ihnen zuhören, diese Sorgen ernstnehmen. Der Zerfall in die Lager „Hier Pegida – dort Antipegida“ ist der falsche Weg. Es gibt viele Fragen, die im Raum stehen. Und es ist an der Zeit, zu einer Diskussionskultur zurückzukehren, die diesen Namen verdient. Ob der Görlitzer Kaufmann Winfried Stöcker hier den richtigen Weg vorgibt, wird sich zeigen. Er hatte mit einem Mailinterview in der Sächsischen Zeitung für Aufsehen gesorgt. Der Unternehmer hat ein Benefizkonzert in seinem Kaufhaus abgesagt, da er keinen Asylmissbrauch unterstützen wolle. Mit seinen Äußerungen sorgte Stöcker inzwischen für ein ähnliches Echo wie auf der anderen Seite NRW-Innenminister Jäger (SPD). Dieser hatte die Pegida-Organisatoren und ihrer Anhänger als ‚Nadelstreifenneonazis bezeichnet. Gleichzeitig gibt es für den Görlitzer Kaufmann eindeutige Zustimmung. Etwa auf dem Portal des „Honigmanns“. Dort bewertet der rechtskonservative Politiker Peter Helmes (CDU) die Äußerungen Stöckers als ein Zeichen von Zivilcourage. Stöcker könne nicht der Vorwurf des Faschismus oder Rassismus gemacht werden. Seine Handlung könne ein Denkanstoß für die komplette Neuordnung der deutschen Einwanderungspolitik sein. Die Sächsische Zeitung berichtet zwischenzeitlich davon, dass sich „viele Görlitzer“ von Stöcker abgewandt hätten.
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