Eine gütliche Regelung war in dem Rechtsstreit zwischen der Oberhessischen Presse (OP) in Marburg und ihrer Schwerbehindertenvertretung auch während des jüngsten Termins vor dem Gießener Arbeitsgericht nicht in Sicht. Dass der Verlag versucht, mit allen Mitteln die seit 20 Jahren angestellte P. loszuwerden, zeichnete sich bereits während der vorausgegangenen Verhandlung im September 2013 ab. In die nächste Runde geht es am 10. April. Auslöser des Streits war unter anderem ein Telefonat P.s mit einer erkrankten Redakteurin gewesen. Darin sah der Verlag Arbeitszeitbetrug und illoyales Verhalten.
„Dass in solcher Härte argumentiert wird, bei einem Arbeitsverhältnis, das seit 20 Jahren besteht, kann ich nicht verstehen. Die Arbeitsleistung steht doch gar nicht infrage.“ Rechtsanwalt Jürgen Wölflein wirkte ein wenig ratlos. Seine Mandantin, Frau P., Schwerbehindertenvertreterin des Verlags der Oberhessischen Presse (OP) und des gesamten Madsack-Konzerns, zu dem die OP gehört, „hat immer nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt, da bin ich mir sicher.“ Sie wolle ihren Arbeitsplatz unbedingt behalten.
Die Geschäftsführung der OP dagegen will ihre langjährige Mitarbeiterin unbedingt loswerden. „Wir wollen das Arbeitsverhältnis beenden und sind auch bereit, dafür finanzielle Konzessionen einzugehen“, sagte deren Rechtsanwalt Eckhard Schulze.
Eine gütliche Einigung zwischen Geschäftsführung, Betriebsrat und Schwerbehindertenvertretung der OP, die sich am Donnerstag, 20. Februar, zum wiederholten Male vor dem Gießener Arbeitsgericht trafen, war nicht in Sicht – auch wenn Richter Michael Schneider mitten in der Verhandlung noch einmal vorsichtig nachfragte.
Darum geht es: Die Geschäftsführung der OP wirft ihrer Schwerbehindertenvertreterin Arbeitszeitbetrug vor. Eine deswegen ausgesprochene Abmahnung hatte das Arbeitsgericht in Gießen bereits im September 2013 abgeschmettert. Doch die Rechtmäßigkeit der fristlosen Kündigung, die dieser Abmahnung (und einer weiteren, ebenfalls vom Gericht abgeschmetterten, wegen Illoyalität) gefolgt war, ist weiterhin streitig. Der Betriebsrat, der im Falle der Kündigung der Behindertenvertretung seine Zustimmung geben muss, verweigert diese. Die Geschäftsführung der OP strengte daher ein Verfahren vor dem Arbeitsgericht Gießen an, um diese Zustimmung gerichtlich „ersetzten“ zu lassen. Die entsprechende Güteverhandlung war im vergangenen September bereits gescheitert.
Die Vorgeschichte: Nach Auffassung der Geschäftsführung der OP hat Frau P. auf ihrem Arbeitszeitkonto mehr Zeit eingetragen als sie tatsächlich am Arbeitsplatz verbracht hat. Kollegen hätten sie stattdessen in der Stadt gesehen. Eine Sekretärin, die von der Geschäftsführung eine Woche lang mit der Überwachung von Frau P. beauftragt war, habe täglich erhebliche „Divergenzen“ festgestellt.
Frau P. sagt, sie habe in den fraglichen Zeiten Schwerbehindertenarbeit geleistet. Mehrere Zeugen könnten dies bestätigen.
Darüber wurde gestritten: Der Anwalt der Geschäftsführung, Schulze, war der Ansicht: Egal, was Frau P. in der streitigen Zeit getan hat, sie hätte sich ab- und wieder anmelden müssen. Dazu sei sie gesetzlich verpflichtet. Und da sie das nicht getan, sondern sich praktisch selbst „beurlaubt“ habe, sei der Vorwurf des Arbeitszeitbetrugs, und damit auch die fristlose Kündigung, gerechtfertigt. Nicht einmal die Zeugen müssten daher gehört werden.
Arbeitsrichter Michael Schneider – wie auch Wölflein und Reimar Mewes, Anwalt des Betriebsrats – waren anderer Ansicht: Der Vorwurf des Arbeitszeitbetrugs habe gar nichts mit An- und Abmeldungen zu tun, sondern sei nur gerechtfertigt, falls Frau P. tatsächlich in den streitigen Zeiten nicht gearbeitet habe.
Wölflein und Mewes betonten zudem die seit Jahren im Betrieb gelebte Praxis, nach der Frau P. ihrer Schwerbehindertenarbeit auch ohne Abmeldung nachgehen konnte.
Es wurde noch über den Beweiswert von Arbeitszeitkonten gestritten, zu denen jeder Zugang hat. Es wurde darüber debattiert, ob die von Frau P. angegebenen Arbeiten in ihren Aufgabenbereich fallen (wenn nicht, wäre das aber kein Arbeitszeitbetrug, sondern Verkennung der Aufgaben). Und es wurden juristische Feinheiten zu Tat- und Verdachtskündigungen ausgetauscht (was hier nicht weiter ausgeführt werden soll).
Das kam am Ende dieses Verhandlungstags heraus: Richter Michael Schneider entschied, dass die Zeugen aller Parteien gehört werden sollen. Diese Beweisaufnahme wird am Donnerstag, 10. April, 11 Uhr stattfinden.
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