Die Wahllokale sind geschlossen und für das Wahlvolk gilt erst einmal der alte Roulettespruch: „Mes dames, messieurs ‑rien ne va plus. Les jeux sont faites“. Für die Hessen hieß das am Sonntag: Zweimal wählen: Für den Bundestag und den Landtag. Und sofern es Wähler in Mittelhessen betrifft, durften manche von ihnen sogar noch eine dritte Wahl bestreiten: Die Stichwahlen zur Landratswahl in Marburg-Biedenkopf. Eines dürfte jetzt schon feststehen: Ob der künftige Ministerpräsident nun Volker Bouffier heißt oder Thorsten Schäfer-Gümbel, es sind auf jeden Fall Mittelhessen, die in Wiesbaden für die Landespolitik als Regierungschef gerade stehen müssen. Aber auf jeden Fall ohne die FDP. Ob mit der Linken?
Klare Verhältnisse in Marburg-Biedenkopf bei Landratswahl – Aber nicht in Hessen bei der Landtagswahl
Im Landkreis Marburg-Biedenkopf ist die Lage klar: Mit fast 61 Prozent der Stimmen hat sich die SPD-Kandidatin und politische Neueinsteigerin Kirsten Fründt gegen den CDU-Kandidaten Marian Zachow klar durchgesetzt. Auf Landesebene ist alles andere als klar und je nach Lage der Dinge, ist völlig offen, ob die CDU in Mittelhessen weiter den Regierungspräsidenten stellt oder die Personalie wechselt. Deswegen ist es jenseits aller landespolitischen Konstellationen interessant, was die aktuelle Lage für Mittelhessen bedeuten kann und welche Regierungspräsidenten in der Vergangenheit wie Mittelhessen geprägt haben. So oder so, auch hier gilt: Es dürfte es für die Region Mittelhessen interessant werden, wie es weitergehen wird. Im Ticker des Landeswahlleiters (bis 1:02 Uhr) lag der bisherige hessische CDU-Koalitionspartner die FDP bei 4,9 Prozent, in der wahlkreisgenauen Darstellung bei HR-Online haben sich in den neun mittelhessischen Wahlkreisen bis auf die beiden Wahlkreise Marburg-Biedenkopf I und II überall die Direktkandidaten der CDU durchgesetzt. Über den Wahlkreis 18 (Gießen 1 mit Biebertal, Fernwald, Gießen, Heuchelheim, Lollar, Staufenberg und Wettenberg lagen um 0.25 Uhr noch keine Ergebnisse vor). Die FDP lag bei den direkt gewählten Kandidaten bei Werten zwischen 2 und 5 Prozent, bei den Zweitstimmen bis auf den Wahlkreis Gießen II kam die FDP zu dem Zeitpunkt knapp unter fünf Prozent an.
FDP im Landtag ‑für Schwarzgelb reicht es aber nicht
2:25 Uhr: Es wird spannend. Nach dem vorläufig amtlichen Wahlergebnis ist die FDP mit 5 Prozent im Landtag, die Linke mit 5,2 Prozent aber auch. Was dies regierungstechnisch bedeuten wird, ist völlig offen. Denn die Sitzverteilung sieht nun so aus: 47 Sitze für die CDU, 6 für die FDP. Macht zusammen 53. Die SPD hat 37 Sitze, die Grünen 14. Macht zusammen 51 Sitze. Also zwei weniger als CDU und FDP zusammen. Aber: Die Linke ist auch mit sechs Sitzen drin. Wenn SPD, Grüne und Linke sich einig sind, können sie damit CDU/FDP vor sich her treiben. Der hessische Landtag hat 110 Sitze. Für eine absolute Mehrheit müsste die CDU wenigstens einen Sitz mehr haben, Nämlich 56. Hat sie aber nicht. Oder CDU und FDP zusammen müssten 56 Sitze haben. „Geht auch nicht.
Erst am 17. Januar 2014, solange wird die Regierung Bouffier/Hahn im Amt bleiben, wird sich endgültig zeigen, wie die Uhren in Hessen weiterticken werden: Entweder schwarzrot, schwarzgrün oder, wenn auch bisher ausgeschlossen, rotrotgrün. In den beiden ersten Fällen darf man davon ausgehen, dass die CDU als stärkste Fraktion im Landtag auch den Anspruch auf das Amt des Ministerpräsidenten erheben wird. Dieser ernennt die Regierungspräsidenten. Betrachtet man sich die prozentualen Anteile, könnte es aber theoretisch denkbar sein, dass die SPD bei der Ernennung der Regierungspräsidenten zumindest ein Wort mitreden will. Die Grünen dürften ein solches Ansinnen eher weniger durchsetzen können. Und wie es aussieht, wenn die Linke mit ins Spiel kommt? Dann hieße der Ministerpräsident Schäfer-Gümbel.
RP muss sich für seine Region durchsetzen können
Bekanntlich sind die Regierungspräsidenten für die Durchsetzung der Landespolitik in der Fläche verantwortlich. Zumindest für die fünf Landkreise Gießen, Lahn-Dill, Limburg-Weilburg, Marburg-Biedenkopf und Vogelsbergkreis dürfte es bei einem Regierungswechsel, der nach den bisherigen vorläufigen Hochrechnungen ins Haus steht, interessant werden. Denn. wie beschrieben, das Amt des Regierungspräsidenten an die Regierung gekoppelt. Das gilt weniger für den Beamtenapparat der Regierungspräsidien. Sprich: Es ist entscheidend, welchen Gestaltungswillen und welches Standvermögen ein Regierungspräsident für „seine“ Region mitbringt. Notfalls muss er nämlich in der Behörde, die ihm anvertraut wurde, auch gegen Widerstände kämpfen, die ihm im eigenen Haus von der anderen politischen Seite in den Weg gestellt werden. Offiziell findet dies zwar nicht statt. Weder in Gießen noch in anderen Regierungspräsidien. Mittel und Wege im Rahmen des „Dienstes nach Vorschrift“, finden sich aber immer. Mitunter stellen sich allerdings auch die eigenen Parteifreunde in den Weg.
Eigene Parteifreunde verweigern den Namen „Mittelhessen“
Es ist noch nicht lange her, da feierte das Regierungspräsidium Gießen sein 30-jähriges Bestehen. Und eigentlich hatte der aktuelle Regierungspräsident Dr. Lars Witteck (CDU) vor, der Behörde den Namen der Region zu geben, die sie repräsentiert: „Mittelhessen“. Dieser Wunsch wurde ihm 2011 von seiner eigenen Landesregierung verwehrt. Ein solcher Alleingang sei bei allem Verständnis nicht möglich, hieß es. In der Gießener Region wurde dies aus der Bürgerschaft mitunter als „akademische Scheindebatte“ kommentiert. Es komme doch eher darauf an, dass in der Behörde ordentliche Arbeit für die Region geleistet werde. Zumindest mit einem Blick auf die persönliche Verbundenheit mit der Region sieht es danach aus, als ob die beiden jüngsten Regierungspräsidenten, Dr. Lars Witteck und sein Vorgänger, Wilfried Schmied, wie Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD) und Volker Bouffier (CDU), von Geburt oder durch jahrelanges Engagement für die Region „eingeplaggde“ Mittelhessen, mit der Schaffung zweier Institutionen etwas auf die Beine gestellt haben, was die Interessen der Region auf lange Sicht wahren dürfte: Den Verein MitteHessen, heute „Mittelhessen“ und die Regionalmanagement Mittelhessen GmbH. Letzterer gehören einschließlich des Vereins alle öffentlichen Organe und Behörden des öffentlichen politischen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens an.
Schmankerl am Rande
Das junge Mittelhessen hatte mit seinem damaligen Regierungspräsidenten Hartmut Bäumer übrigens auch Geschichte geschrieben: Er war der erste grüne Regierungspräsident Deutschlands (1991–1999). Heute ist er wieder in einer führenden Funktion – in Baden-Württemberg. Als Ministerialdirektor im Verkehrsministerium.
Man darf also gespannt sein, wie es für die fünf Landkreise und ihre eine Million Menschen weitergeht. Ob sich der Mittelhessen-Faktor auf Landesebene stärker bemerkbar machen wird als in der Vergangenheit. Eines dürfte jetzt schon klar sein: Das Interesse, zumindest über das Wahlkreuz Politik mitzugestalten, ist beim Wahlvolk gestiegen: Die Wahlbeteiligung lag bei mehr als 70 Prozent. Kurz vor 18 Uhr bestätigten die Wahlhelfer in der Gemeinde Hohenahr und im Biebertaler Ortsteil Fellingshausen, dass die Wahlbeteligung um geschätzte zehn Prozent höher lag als 2009. Es ist also nicht so, dass den Hessen und Mittelhessen egal ist, wer in ihrem Namen die Politik in Wiesbaden gestaltet.
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