„Ich kommentiere eigentlich nur in Facebook“ – „Nee, das saugt uns doch eigentlich nur den ganzen Traffic weg. Die Leute sollen eher direkt auf unserem Blog kommentieren“ oder „Was wollt ihr eigentlich? Facebook. Google+ und Twitter dienen doch vor allem einen: Der Reichweitenerhöhung und außerdem können wir mit unseren Freunden uns darüber unterhalten“ – So oder so lauten Diskussionen zwischen Blogbetreibern und Netzbewohnern. Ein Thema, das sicher keines ist, dass nur Mittelhessen betrifft, sondern quer durch die Netzgemeinde diskutiert wird.
Inhalte werden umgelenkt – verschwinden aus dem offenen Web
Auf jeden Fall eines, das jeden betrifft, der im Internet eine Seite angemeldet hat und diese nicht nur nach dem Motto „Ich bin dann mal auch hier“ betreibt. Sondern darauf setzt, weil ein Verein , Firma, Hobby oder anderes vorgestellt werden sollen. Weil ein Blog oder ein Medienportal betrieben wird. Und dafür braucht es möglichst viel Kommunikation oder ganz traditionell ausgedrückt: Unterhaltung. Über die Inhalte. Neue Ideen. Anregungen. Kritik. Die aber finde zunehmend nicht mehr im ganzen Web statt. Sagt unter anderem Johnny Häusler. Inhalte würden zunehmend umgelenkt in geschlossene Räume.…
Nur noch mit Gesichtskontrolle – Tummelplatz für Digijunkies ?
Wem gehört denn nun das Web, das Netz, das Datengeflecht, das weltweit zig Millionen Rechner miteinander verbindet? Und muss es aus vielen Räumen, in die man inzwischen nur mit Clubausweis und Gesichtskontrolle eintreten darf, wieder heraus ins Plenum gezerrt werden? Dort, wo auch die etwas zu sehen bekommen, die in die Räume Ideen liefern, anschließend aber nur noch zufällig mitbekommen, wenn die Clubmitglieder darüber reden.
Gehört es den vielen skurrilen Typen, die in den virtuellen Welten unterwegs sind? Gehört es Daniel Rehbein, Tim Berners-Lee oder dem ChaosComputerClub? Daniel Rehbein ist ein Name, der vermutlich denen noch ein Begriff ist, die schon zu Zeiten im Netz waren, als Telefonie und Datenleitungen noch vom Staat (der Bundespost) zur Verfügung gestellt wurden und in der Regel Onlinezeiten zu einem Luxus machten. Weswegen viel offline gelesen wurde: Schnell ins Netz, Inhalte schnell runterladen, aus dem Netz raus. In Ruhe lesen und dann antworten. Rehbein ist nach eigenen Angaben seit 1992, also 20 Jahre online. Begonnen habe alles mit eigenen Btx-Seite. Btx steht für Bildschirmtext.
Oder gehört es inzwischen denen, die weltweit die Rechner aufgestellt haben, den Strom liefern, die seltenen Erden und Silikon liefern, damit die kleinen grauen Kisten, die heute eher manchmal weiß sind und ihre Nutzer in ein ganz eigenes, das Mac-Appel-I-Phone-Pad-Tablet-Imperium hineinziehen? Nicht ganz klar ist, ob dieser Artikel auf Maclife eher eine verkaufsfördernde Satire oder doch ernstgemeinte Warnung sein soll: Der Besitz eines IPhones könne wie eine Droge süchtig machen, seinen Nutzer also in den von Appel kontrollierten Teil des Webiversums hineinziehen.
Was das Web wirklich ausmacht und das hinter dem, was einst Tim Berners-Lee erfunden hatte, inzwischen eine Dokumentation menschlicher kultureller Leistungen steht, das schreibt Johnny Häusler Mitbegründer der Re Publica, die 2013 zum siebten Mal stattfinden wird, in seinen Netzmagazin Spreeblick:
Um bekannt zu werden braucht es Reichweite. Aus Marketingsicht sind deswegen eigentlich Facebook, Twitter, Google+ und Co die idealen Werkzeuge, um mehr als ein „Hallo Welt“ zu erreichen. Nur birgt das Auslagern der Inhalte oder auch nur das ansatzweise Einstellen dieser Inhalte in die sozialen Netzwerke ein nicht unerhebliches Risiko: Das eigentliche Web wird zu einer Inhaltswüste, in der da und dort klapprige Holzbuden stehen, durch die der Wind pfeift und an bestimmten Orten befinden sich dann die Inhaltsoasen, in die aber nur die hineinkommen, die sich vorher „nackisch machen“, sprich: Sich damit einverstanden erklären, dass sie, wenn sie nicht ordentlich Tribut zahlen, quasi in durchsichtigen Klamotten durch die Oase laufen oder gleich ganz auf jeden Stoff verzichten..
Risiken drohen allerdings auch von einer anderen Seite. Zuviele falsche Werbung schrecke die User in den sozialen Netzwerken ab. 25 Prozent des Werbeetats soll im frisch beginnenden Jahr 2013 von Unternehmen für Social Media ausgegeben werden. Also Facebook und Co. Das schreibt Marzena Sicking am 13. Dezember in einem Artikel, der bei Heise erschienen und referenziert auf Pitney Bowes Software, das dazu eine entsprechende Studie durchgeführt habe. Die Zahlen dieser Studien werden allerdings nur bedingt offen gelegt. Wer genauere Zahlen wissen möchte, muss ein entsprechendes Formular ausfüllen. Sicherlich legitim. Nur zeigt es den Wandel von den frühen „anarchischen“ Zeiten, wie sie hier Bernd Sokolowsky von Franken Net in einer Retrospektive darstellt, die zum heutigen Web.
Ein Blog lebt vom Echo
Diskussionen, Reaktionen fanden in der Regel auf den Seiten und in den Foren statt, die auch den Betreibern der Seiten gehörten. Inhalte wurden von Seite zu Seite verknüpft. Mit dem Aufkommen von Blogs ist für aktive Netznutzer die Welt sicherlich bunter geworden. Und als Blogbetreiber lebt man vom Echo, von der Wahrnehmung. Nur wieviele Blogs gibt es tatsächlich, auf die Leser reagieren können. Und wie sieht es mit deren Verhältnis zu Facebook-Nutzern aus, denen man nahelegen könnte, aus dem Facebook-Kosmos auszubrechen und direkt in den Dialog mit den Blogbetreibern zu treten, die auf sich in Facebook, Twitter und Co auf sich aufmerksam machen? Laut Wikipedia sind die Blogzahlen eher ernüchternd: Demach betrieben laut der Allensbacher Computer und Technikanalyse zum Stand Oktober 2011 gerade mal 8,4 Prozent aller Internetnutzer in Deutschland ein Blog. Von den rund 81 Millionen Einwohnern Deutschlands sind wiederum rund 75 Prozent im gerade zuende gehenden Jahr 2012 online. 2003 waren es knapp 50 Prozent gewesen. 2001 gar nur rund 37 Prozent. Bezogen auf die aktuellen Internetnutzerzahlen sind rund 8,4 Prozent oder 5103000 Einwohner in Deutschland mit einem eigenen Blog unterwegs. Weltweit wiederum waren es zum Stand Oktober 2011 rund 173 Millionen Blogger. Legt man nun die Zahl der Facebook-Nutzer zugrunde, ergibt sich ein klares Bild: Den etwas mehr als 5 Millionen Blogbetreibern, bei denen anhand der Daten nicht erkannt werden kann, ob damit alle Blogs oder doch nur private Blogs gemeint sind, stehen 25 Millionen Facebook-User gegenüber. Wenn wir also das Web wieder zurückerobern wollen, wie es Johnny Häusler vorschlägt, ist es ein ehrgeiziges Ziel. Aber einen Versuch ist es Wert. Hier in der Region Mittelhessen wollen wir diesen Versuch wagen und halten den Kontakt und Dialog nicht nur mit den Weilburger Nachrichten, sondern auch mit der Feuerwehr Fellingshausen , dem noch jungen Ziegenblog oder Tim Beil. Überregional sind es etwa Heike Rost, die Kolleginen von Vocer oder auch Jörn Daberkow mit seinem Blog Moodway. Zugegeben: Auch hier beim Mittelhessenblog herrscht in dieser Sache manchmal Faulheit. Weil Facebook bequem macht. Aber ehrlicher und respektvoller ist es doch, einem Portalbetreiber direkt auf seinem Portal zu besuchen und dort wieder zur Meinungsbildung beizutragen.
Einen bemerkenswerten Nebenaspekt haben die reinen Facebook-Unterhaltungen allerdings: Sie können mitunter zu Missverständissen führen, weil man sich eben nicht mehr die Zeit nimmt, Geschriebenes sorgfältiger zu lesen und glaubt, mit der jeweils aktuellen Timeline alles notwendige gelesen zu haben, dafür steht eine Debatte in einem Diskussionsstrang von Verfechtern und Parteigängern liberaler Politik. Es ging um die Frage, ob private Nachrichten offen zitiert werden sollten oder nicht. Die Debatte wogte sogar dann weiter, als der Betroffene selber sagte, man möge doch bitte die Kirche im Dorf lassen und sich nicht weiter darüber aufregen. Um diesen Disput in voller Länge zu lesen, empfiehlt sich diese Statusmeldung.
Mehr Statistiken finden Sie bei Statista
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Peter Jebsen meint
Das ist ja sehr bedauerlich, dass dieses Thema in Mittelhessen über vier Jahre lang offenbar niemanden interessiert hat.
Christoph von Gallera meint
Meine Kollege Peter Jebsen bricht eine Lanze für Facebook als „Plattform Nummer eins“ für Debatten etc.
Für Nichteingeweihte: Er vertritt im Bundesvorstand des Deutschen Journalistenverband als Beisitzer den Themenbereich Onlinejournalismus. Johnny Häusler, auf den sich der Kurzgucker bezieht, ist Mitbegründer der Re!Publica, eine der inzwischen maßgeblichen jährlichen internationalen Konferenzen rund um die Digitalwelt und Onlinejournalismus. Er kritisiert die Übermacht von Facebook, Google und Co und deren negativen Einfluss auf ein offenes Web für alle. Häusler ist Radiojournalist, Blogger und Musiker. Redaktionell ist er für den Spreeblick verantwortlich.
Zum Kommentar:
Für das scheinbare Nichtinteresse gibt es technische Gründe, die am Ende das bestätigen, was 2012 bereits Thema dieses Kurzguckers war und vier Jahre später im Zusammenhang mit der Löschung des Blogger-Accounts von Dennis Cooper bei Googles Bloggerdienst wiederum von Johnny Häusler bestätigt wurde. 2016 hatte Google Coopers Konto ohne Vorwarnung gelöscht, was zu einer Protestwelle führte. Cooper hatte das via Facebook mitgeteilt.
Gewiss, Johnny Häusler ist natürlich wie inzwischen wohl die meisten Medienschaffenden ebenfalls mit Konten bei den diversen sozialen Diensten vertreten.
Was aber genauso der Fall ist: Wer beruflich das Netz braucht, weil er darin publiziert, hat die Wahl zwischen selbstbestimmten Handeln mit einer eigenen Plattform oder aber er nutzt bereits vorgefertigte Lösungen oder Grundlagen wie sie etwa Google und Facebook. Was gleichzeitig damit stattfindet: Gleich wer eine Plattform betreibt, gibt zwei zentrale Dinge ab: Das Hausrecht bzw Verfügungsgewalt über selber produzierte Inhalte und gleichzeitig die Kontrolle darüber, wer wo wann etwas liest.
Bewusster Kurzgucker hatte genauso wie etliche andere Artikel, die im Mittelhessenblog in den sieben Jahren seines Bestehens erschienen sind, einen breiten Debattenstrang. Allerdings auf FB generiert. Wie ist das zustandegekommen? MHB-Leser haben das nicht die ebenfalls bereitgestellte Mittelhessenblog-Kommentar-Funktion genutzt, sondern sind über das mit eingebaute FB-Plugin gekommen. Zumindest war das ein Indiz dafür, dass sie wenigstens den direkten Bezug hatten.
Aus der FB-Praxis wissen wir aber, dass sich diese Kommentare im überwiegenden Teil „versenden“. An den Zugriffswegen kann man sehen, dass zwar zugegriffen wurde. Wenn aber nicht direkt per Verlinkung auf das Mittelhessenblog gegangen wird, dann verschwindet diese Reaktion. Dann mögen Inhalte zwar den Debattenfortgang irgendwo bei FB beflügeln und dort für Reichweite sorgen. Der Ursprungsplattform geht das aber verloren.
Verloren geht dies auch, wenn technische Schwierigkeiten auftauchen. Regelmäßigen Mittelhessenbloglesern dürfte es bekannt sein: Wir hatten 2016 mit den massiven Folgen von Hackerangriffen zu tun. Eine der Sicherheitsmaßnahmen war, dass wir für eine gewisse Zeit sämtliche aktiven Social-Media-Plugin gekappt hatten. Eine Folge war, dass natürlich sämtliche Kommentare, die über FB gekommen waren, verschwunden waren. Diese dann hinterher wieder einzupflegen, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Sie sind verloren.
Was Johnny Häusler 2012 schrieb und worauf sich dieser Kurzgucker bezieht, hat 2017 nichts von seiner Aktualität verloren.
Peter Jebsen meint
@Christoph, ich hoffe, du gehst in deiner journalistischen Arbeit weniger liberal mit der Wahrheit um als hier. Ich habe *nie* gesagt, dass ich Facebook als Plattform Nummer eins für Debatten betrachte. Aber FB ist halt das größte Social-MediA-Netzwerk.