Mittelhessen ist, aus dem Blickwinkel internetaktiver Menschen, für die die Begriffe Facebook, Twitter, Xing oder Diigo und Flickr normale Alltagsvokabeln sind, wie für andere Backhausbrot, Kegelbahn oder Schoppepetzer, anscheinend noch ein Landstrich mit „vielen Entwicklungsmöglichkeiten“. Das zumindest ist eines der Resultate des ersten Socialbar-Treffens, das in Marburg veranstaltet wurde. Zum Auftakt waren rund 30 interessierte Mittelhessen gekommen.
Kerstin Probiesch und Hanno Groth heißen die zwei Organistoren des ersten Socialbar-Treffen für Marburg, das erste überhaupt in Mittelhessen. Probiesch ist selbständige Beraterin für Social Media, Barrierefreiheit im Internet, Webkompetenz, sprich, für alles, was in irgendeiner Weise damit zu tun hat, wie man sich im Internet bewegt.
[singlepic id=30 w=320 h=240 mode=web20 float=left]Groth ist, so seine eigene Beschreibung in seinen Twitterprofil, Netzwerkarchitekt und Projektentwickler. Angesichts des Vorlaufs, mit dem die erste Veranstaltung ihrer Art im mittelhessischen Raum, im angestammten Medium, nämlich dem Internet, verbreitet worden war, hatten beide eigentlich mit einem größeren Echo gerechnet, sehen aber Chancen für ein neues Treffen, das voraussichtlich bereits März oder April stattfinden könnten. [singlepic id=29 w=320 h=240 mode=watermark float=right]Groth hatte zur Einführung ins Thema eine eigene Untersuchung über die Nutzung von Twitter, Facebook und anderer interaktiver Dienste wie im Marburger Raum vorgestellt. Diese spiegelte eher eine verhaltene Nutzung wider. Die Ergebnisse, so Groth, könnten auch auf den restlichen restlichen mittelhessischen Raum übertragen werden.
Die Idee der Socialbar selber ist inzwischen vier Jahre alt und wurde in Berlin geboren. Bislang hatten die Treffen immer in großen Städten wie Berlin, Köln, Stuttgart oder München stattgefunden. Mit Marburg war es zum ersten Mal eine kleinere Stadt. Die Kernidee: Vertreter der Zivilgesellschaft im Internet zusammenbringen, damit diese dort ihre Gedanken austauschen und gemeinsame Ideen dann offline, also im realen analogen Welt aus „Fleisch und Blut“, umsetzen. Im Kern steht der Einsatz für eine „bessere und nachhaltigere Welt“, sprich Gedanken rund um den Umweltschutz, Generationenmiteinander und andere Themen, die ursprünglich aus der Arbeit der Lokalen Agenda 21, der sozialen Arbeit der Kirchen bekannt sich, finden sich verändert und zeitlich angepasst bei Akteuren der Social Bar. Geht es um das Vernetzen im Internet, sind in der Regel Blogs oder Werkzeuge wie Facebook, Twitter oder Youtube gemeint. Auf den Gedanken der Socialbar war 2008 Sophie Scholz in Berlin gekommen.
Anders als in einem Netzwerk wie Xing, das vom Grundgedanken der direkten Anbahnung von Geschäftskontakten dient, geht es bei der Socialbar aber um etwas anderes: „Wer hier mitorganisiert, Vorträge hält, tut das in erster Linie nicht, um sich selber anzupreisen oder vorzustellen. Im Vordergrund steht das gegenseitige Kennenlernen und dann über Social Media das Voranbringen gemeinsamer Ideen“, machten Probiesch und Groth im ersten Teil des rund dreistündigen Treffens klar. Das am Ende zwischen der Theorie des Anspruchs, sich vollständig als Teilnehmer zurückzunehmen und der Praxis, ohne eigene Erfahrungen keine Impulse geben zu können, geschweige denn, ohne den eigenen Verein, das eigene Unternehmen kurz zu umreißen, kaum ein Netzwerken möglich ist, ist eine andere Sache, schmälert aber nicht den Wert der Socialbar.
„Am besten überlegt Ihr Euch erst einmal, was Ihr in den Social Media schreibt“, riet Kerstin Probiesch für das künftige Vernetzen. Sie seien zwar ein nützliches Werkzeug, um sich zu vernetzen. Nur, was einmal im Internet kursiere, könne nur schwer wieder gelöscht werden. Genauso wichtig sei das Zielpublikum: Schüler etwa erreiche man heute eher mit einer Nachricht in Facebook als mit klassischen Faltzetteln. Probiesch meinte aber auch, dass etwa Wer-kennt-wen (WKW) doch besser als sein Ruf sei und ebenfalls ein gutes Werkzeug für Vernetzung. Die Webberaterin, die die verschiedenen Dienste immer wieder miteinander vergleicht, ging auch auf die Unterschied zwischen Twitter, Facebook und Google+ ein. Der Der Dienst, den Google als Angriff auf Facebook gedacht hatte, ist aus ihrer Sicht zu glatt. Insbesondere die Tatsache, dass Texte, die spontan geschrieben würden, hinterher um kleine individuelle Merkmale wie Vertipper gebracht würden, beraube diese ihrer Einzigartigkeit. Auf der anderen Seite müsse man eine Grenze ziehen: „Nicht jede Lebensäußerung muss in Facebook oder Twitter stehen“, kritisiert sie die Manie vieler FB-Nutzer, quasi ihr Leben minütlich zu dokumentieren.
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Wie es um die Nutzung von Twitter, Facebook und Co in der Universitätstadt aussieht, machte Groth mit Zahlen der von ihm untersuchten Gruppen deutlich. So hätten hätten rund 50 Prozent Twitter wieder beendet. Am Beispiel des Kfz belegte Groth, dass hier zumindest Facebook eine gewisse Bedeutung habe. Zum Zeitpunkt seiner Untersuchung sprachen 139 Facebooknutzer über das Kulturzentrum. Gegenwärtig (Anm.: zum Zeitpunkt der Anfertigung dieses MHB-Artikels) sind es 42 auf der Fanseite des Kfz, die darüber sprechen.
Eine kurze Rundfrage unter den Besuchern lieferte ein ähnliches Bild: Diejenigen, die ohnehin bloggen oder sich regelmäßig im Internet bewegen, benutzen in der Regel auch einen oder mehrere der Social-Media-Dienste. Unter den 30 Besuchern war es aber rund eine Handvoll, abgesehen von den beiden Organisatoren der Socialbar und anwesenden Journalisten, für die diese Handwerkzeuge zum Alltag gehören. Eine alternative Meinung kam allerdings von einem Vertreter der Piratenpartei. Er sagte, dass für ihn Emails immer noch die informativste Art des Meinungs- und Gedankenaustauschs seien.
Der Grund, die Socialbar zu besuchen, lag für viele in einer direkten persönlichen Einladung. [singlepic id=31 w=320 h=240 mode=watermark float=right] So auch für Thomas Arndt, den Umweltbeauftragten des evangelischen Kirchenkreises der Stadt Marburg. Er bekannte freimütig, bislang mit Social Media noch keine großen Erfahrungen gesammelt zu haben. Von dieser Veranstaltung wolle er auf jeden Fall Impulse und Anregungen mitnehmen, sagte Arndt. Dass die digitale Vernetzung auch unter den Seiten der evangelischen Kirche von Kurhessen Waldeck noch ausbaufähig ist, beweist die Probe aufs Exempel. Wer mit Arndt übers Netz direkt in Verbindung treten möchte, dürfte auf Schwierigkeiten stoßen. Denn auch nach einer gezielten Suchanfrage tritt Arndt weder auf der Internetseite des evangelischen Kirchenkreises Marburg noch auf der übergeordneten Seite der EKKW als Umweltbeauftragter in Erscheinung. Lediglich über eine Archivsuchfunktion wird Arndt in einem Artikel der Agentur epd als Umweltbeauftragter des evangelischen Kirchenkreises genannt. Wer allerdings Arndt nur mit den Suchbegriffen „Thomas Arndt, Umweltbeauftragter“ sucht, also nicht zielgerichtet, der bekommt wenigstens in der Googlesuche eine Telefonnummer in einem Text auf der zentralen Seite des Umweltbeauftragten der EKKW eingeblendet. Es handelt sich dabei um einen Artikel aus dem Jahr 2006 der Januar/Februar-Ausgabe von “Kirche in Marburg” über „Billige Grabsteine durch Kinder- und Sklavenarbeit“.
Für Carrie Dohe bieten Social Media einen etwas anderen Ansatz. Die Religionswissenschaftlerin aus Chicago arbeitet an der Philippsuniversität in Marburg als Gastforscherin und Lehrbeauftragte in Marburg und in Chicago an ihrer Doktorarbeit. Gegenwärtig beginnt sie ein neues Forschungsprojekt, das sich mit Religion und Ökologie befasst. Ein Arbeitsschwerpunkt liegt dabei in Marburg. In der Socialbar sieht die Wissenschaftlerin, die auch in Facebook ein Profil hat, eine Möglichkeit, ihre Arbeit voranzubringen.
Roland Michel hatte die schiere Neugier auf die Veranstaltung getrieben. Der Rentner hofft darauf, dass sich über die Socialbar vielleicht gerade für ältere Mitmenschen abseits jeder offiziellen politischen oder behördlichen Institution Möglichkeiten entwickeln lassen, wie Bezieher kleiner Renten am kulturellen Leben teilnehmen können und nicht ausgeschlossen werden. „Ich habe hier etwas im Auge. Noch ist das Ganze aber nicht spruchreif. Die Socialbar hat dafür aber einige interessante Anregungen geliefert“, so Michel.
„Ihr müsst sehen, dass Ihr nicht nur Marburg ansprecht, sondern noch darüber hinaus geht. Eure Idee ist nämlich gut“, war wiederum ein Echo, das aus dem Publikum Silvia Grundmann zu hören bekam. Sie stellt die Idee der alternativen Stadtführungen vor, ein gemeinsames Projekt der Bundjugend und der Weltläden. Bei dem Projekt geht es um ein kritischen Blick hinter Auswirkungen globalisierter Wirtschaftsbeziehungen vor der eigenen Haustür. Bundesweit wird das Projekt zwar mit der Weltbewusst beworben, wie Grundmann findet, sei die Idee in der Fläche aber noch nicht so weit verbreitet. Auf der Website selber wird auf 35 Städte hingewiesen, in denen es Ansprechpartner gibt. Mittelhessen ist dort bisher nur mit Eva Winter und Hanna Momour in Gießen vertreten, die dort den weltbewussten Stadtrundgang anbieten. Marburg selber wird auf dieser Karte nicht aufgeführt.
Wie die Chancen, dass Silvia Grundmann, Thomas Arndt oder auch Roland Michel mit ihren Ideen und Vernetzungswünschen nach dieser ersten Socialbar in Mittelhessen, in Marburg, nun weiter vorankommen, werden sich zeigen. Die Stimmung, die an diesem Abend in Marburg zu spüren war, lässt zumindest hoffen, dass nun einige weitere Impulse für die Vernetzung von Vereinen, diversen kreativen und findigen Köpfen nichht nur in Marburg gelegt wurden. Dass es eine nächste Socialbar geben wird, sind sich Probiesch und Groth sicher. Ob wieder in Marburg, Gießen, Wetzlar, Limburg, Haiger , Alsfeld oder einer anderen mittelhessischen Stadt, wird sich weisen. „Was gebraucht wird, sind Leute, die bereit sind, es zu tun. Wir helfen jedenfalls gerne“ sagen beide. Eines dürfte aber auch klar sein: Ohne Sponsoring oder Unterstützung bei der Suche nach einem geeigneten Veranstaltungsort gehe es nicht. In dem Falle war es das Technologie- und Tagungszentrum, das zu den Stadtwerken Marburg gehört.
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Redaktioneller Hinweis: Für das Mittelhessenblog hat der Marburger Kameramann Hans Magnus Pechel, Inhaber des Medienbüro Marburg, ein Video über diesen Abend gedreht. Dieser Beitrag wird in den nächsten Tagen ebenfalls auf dem Mittelhessenblog zu sehen sein. Pechel hatte sich vor einigen Wochen entschieden, die redaktionelle Arbeit des Mittelhessenblog zu unterstützen. Diese Produktion ist die erste gemeinsame Arbeit.
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