In die Literatur gelangten sie mit Friedrich Dürrenmatt und in Gestalt von Angela Merkel zu politischen Ehren: Die Physiker. Ohne Physik gäbe es vermutlich diesen Artikel nicht, ebenso wenig das Internet oder den Computer, mit dem der Artikel dann gelesen wird, egal, ob dieser Computer in die Hosentasche passt oder neben dem Schreibtisch steht. Ohne chemisches Wissen und grundlegende Kenntnisse der Informatik vermutlich ebenfalls nicht. Das, was diesen Artikel technisch möglich macht, sind die so genannten MINT-Fächer. Um eines dieser Fächer, nämlich Physik, geht es im Sommer in der estnischen Hauptstadt Tallinn (Reval). In der 43. Internationalen Physik-Olympiade.
Die zehn besten hessischen Teilnehmer der zweiten Vorrunde wurden nun im mittelhessischen Heuchelheim geehrt. Da der Beste aus Südhessen stammt und deswegen in die dritte Vorrunde aufrückt, kann Mittelhessen immerhin darauf stolz sein, dass zwei der besten hessischen Nachwuchsphysiker aus der heimischen Region stammen. Aus Gießen und aus Weilburg. Aus Gießen kommt der 17-jährige Philipp Risius, aus Weilburg der gleichaltrige Tobias Blum. Risius besucht das Liebig-Gymnasium, Blum das Philippinum in Weilburg.
MINT steht für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Und genau diese hätten in der öffentlichen Wahrnehmung immer noch einen schweren Stand. Umso mehr begrüße man die gegenwärtigen Bemühungen in Hessen, diesen MINT-Fächern in der Schule eine noch stärkere Bedeutung zu geben sagte der Hauptgeschäftsführer von Hessenmetall, Volker Fasbender, nun in Heuchelheim. Anlass war die Ehrung der zehn besten Nachwuchsphysiker aus Hessen, zwei von ihnen aus Mittelhessen, bei Schunk.
Die zehn jungen Männer hatten an der 43. Internationalen Physikolympiade teilgenommen, der beste von ihnen hat sich für die Teilnahme an der dritten Runde qualifiziert, die schon bald vom 28. Januar bis zum 3. Februar in Göttingen stattfinden wird. Danach wird sich entscheiden, ob Hessen im Sommer in Tallinn (Reval) mit dabei sein wird oder nicht.
Wie auch immer diese Runde ausgehen wird: Eines fällt doch auf: Zumindest in der Liste, die auf der offiziellen Website der Olympiade die teilnehmenden Bundesländer seit 1991 aufführt, taucht Hessen gerade zwei mal auf: 2003 und 2006. Länder wie Bayern oder Baden-Württemberg oder Nordrhein-Westfalen oder auch Sachsen sind wesentlich stärker vertreten. Alles Länder mit einer hohen Industrie- und Technologiedichte. Fragt sich, ob daran tatsächlich die schulpolitische Ausrichtung einen Anteil hat.
Dass die Jagd nach der Lösung grundlegender physikalischer Fragen oder anspruchsvoller physikalischer Problemlösungen wie sie in der wissenschaftlichen Hochschularbeit Alltag sei, allerdings nicht unbedingt mit etwas mit den Anforderungen in einem Technologieunternehmen wie Schunk etwas zu tun haben muss, sagt Dr. Günter Rinn. Der Leiter der Forschungs- und Entwicklungsabteilung der Schunk Kohlenstofftechnik ist selber Mineraloge. Den hessischen Wettbewerbsgewinnern erklärte er, dass es etwa im Schunkalltag eher auf die grundlegenden klassischen physikaischen Grundlagen wie die Schwerkraft und bei den verschiedenen subatomaren Teilchen vor allem auf das Elektron ankomme.
Anders als noch vor einigen Jahren, als Unternehmen eher dazu gedrängt werden mussten, Ausbildungsplätze bereit zu stellen, ruft die Wirtschaft, vor allem eben das produzierende Gewerbe und die Industrie händeringend nach gut ausgebildeten Fachkräften. So rief denn Schunk-Geschäftsführer Gerhard Federer durchaus plakativ „Wir brauchen Sie“ während der Preisverleihung. Dieser Ruf ist sicherlich ehrlich gemeint. Die Frage ist aber: Was, wenn nun genügend den Aufrufen von Wirtschaft und Industrie folgen, und es dann ein „sattes Angebot“ auf dem Markt gibt und die Wirtschaft unter diesem Angebot dann wieder lediglich die nach Noten vermeintlich Besten herauspickt? Vor fünf Jahren beklagte der Verband der Ingenieure (VDI) einen Misstand zwischen rund 30000 arbeitslosen Ingenieuren und einer dennoch hohen Nachfrage in der Industrie. Aktuell scheint sich dieser Trend gedreht zu haben. Der VDI spricht derzeit von einer außergewöhnlichen hohen Lücke. Knapp 18000 arbeitslosen Ingenieuren stehen etwas mehr als 98000 offene Stellen gegenüber, wobei dies in Süddeutschland sich am ehesten bemerkbar mache. Die Lücke sei seit 2000, als man mit der Beobachtung und Aufzeichnung dieser Entwicklung begonnen habe, am stärksten, heißt es aktuell beim VDI. Solche Nachrichten sind aus Sicht der heutigen Schüler sicherlich Musik. Nur, wohin entwickelt sich ihr Arbeitsmarkt in fünf, sechs oder sieben Jahren, wenn sie sich für eine MINT-Laufbahn entscheiden?
Wie auch immer, dass trotz erfolgreicher Wettbewerbsteilnahme zumindest bei den beiden Mittelhessen die berufliche Planung für die Zeit nach dem Abitur noch offen ist, und auch nicht unbedingt eine Karriere als Physiker, sondern in anderer Mint-Hinsicht planen, stellten sowohl Philipp Risius wie auch Tobias Blum fest. Und beide waren sich darin einig, dass der Wettbewerb Wissen verlangte, das weit über das Schulwissen hinausging. So mussten sich die Schüler in den zetral gestellten Aufgaben unter anderem mit der so genannten Pioneer-Anomalie befassen. Was dahinter steckt? Ein physikalisches Phänomen, das erst im Frühjahr 2011 gelöst wurde. Der Hintergrund: 1972 und 1973 schoss die Nasa zwei typgleiche Pioneer-Sonden in den Weltraum. Auf ihrem berechneten Weg wichen die beiden Sonden ab, was eigentlich nicht hätte geschehen dürfen. Und erst 2011 war es gelungen, den Grund dafür zu finden.
Zum Thema gehört ebenfalls dieser Kurzgucker. Darin wird klar, wieso nicht nur brilliante MINT-ler auch auf die perfekte Beherrschung ihrer Muttersprache und grundlegende geographische und kulturelle Kenntnisse Wert legen sollten.
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