JOURNALISMUS und INTERNET/POLITIK und WIRTSCHAFT
Redaktionelle Vorbemerkung: Die Entscheidung über Entwicklungen an den extremen Rändern des politischen Spektrums zu berichten, ist immer wieder eine Gratwanderung. Zumal wenn journalistische Herangehensweise es notwendig macht, Namen und Fakten zu nennen, die zwangsläufig allein durch ihre Erwähnung als Public Relation, wenn auch ungewollte, für extreme Lager gesehen werden können. Das ist regelmäßig nicht gewollt und beabsichtigt. Die Redaktion des Mittelhessenblog hat im vorliegenden Fall die Entwicklungen rund um einen tatsächlichen oder vermeintlichen Rechtsextremismus-Skandal im Zusammenhang mit der Eröffnung des Museums Keltenwelten am Glauberg zum Recherchethema gemacht, da der Verdacht der Manipulation von Nachrichten mit möglicherweise rechtlichen Folgen im Raum steht. Weitere Hinweise zur Sache nimmt die Redaktion unter kontakt[at]mittelhessenblog.de unter dem Betreff „Glauberg-Skandal“ entgegen.
Ilona Huth ist sauer: Die Chefin der Gederner Sicherheitsfirma Huth und Groß ärgert sich weniger über die Folgen der medialen Berichterstattung über die Begleitumstände der Eröffnung des Museums Keltenwelt am Glauberg am 5. Mai 2011 für ihr Unternehmen als darüber, welche Konsequenzen nun das Land daraus zieht. Im Zuge der Eröffnungsfeierlichkeiten gerieten zwei ihrer Mitarbeiter vor allem durch die überregionale Berichterstattung ins Rampenlicht. Dass diese mit ihrer NPD-Vergangenheit aber abgeschlossen hatten, einer von ihnen sogar durch die Vermittlung des Jobkomm Büdingen, heute Jobcenter Wetterau, Außenstelle Büdingen, in ihre Firma kam, scheint bisher die verantwortlichen Entscheidungsträger im Wissenschaftsministerium nicht zu interessieren. Stattdessen flatterte der Unternehmerin am 13. Mai die fristlose Kündigung des Landesdenkmalamts ins Haus.
Tobias B. und Jan P. arbeiten seit 2010 für Ilona Huths Firma. B war Huth von der Jobkomm Büdingen empfohlen und vermittelt worden. „Vorausgegangen war die Vertragsunterzeichnung mit der Hessischen Immobilien Management GmbH. Dafür haben wir Mitarbeiter gesucht“, berichtet Huth. Darin sei es zunächst um Revierschutz gegangen und weil, wie Huth festgestellt hatte, die Alarmanlage noch nicht richtig funktionierte , auch um Objektschutz. Später, im Frühjahr 2011 , sei dann auch die Museumsleitung an sie herangetreten, ob ihre Leute auch die Kassenaufsicht und die Aufsicht im Gebäudeinneren übernehmen könnten. Dieser Auftrag sollte eigentlich richtig am 6. Mai beginnen. Wie Huth noch erklärte, habe sie im Vorfeld IHK-Lehrgänge nach §34 Gewerbeordnung finanziert, damit die Arbeit entsprechend geleistet werden könne. P. selber sei ihr noch im Herbst 2010 von B. empfohlen worden, nachdem sie ihn gefragt habe, ob er vielleicht noch weitere potentielle Interessenten für die Arbeit als Wachmann kenne. P. sei dann als 400-Euro-Kraft eingesetzt worden.
Die Dienstleistung des 5. Mai, die Bewachung des Keltenfürsten, habe Huth als Werbemaßnahme dem Museum geschenkt. „Natürlich wäre das für uns eine große Werbung gewesen, wir hatten ja zu keinem Zeitpunkt damit gerechnet, was dann später daraus werden würde“, berichtet Huth, die mit ihrem Unternehmen seit 2006 am Markt ist. An der Arbeit der beiden Wachleute habe bis zu diesem 5. Mai niemand etwas auszusetzen gehabt, es sei sogar so gewesen, dass einer der beiden Einbrüche verhindert habe. Zu den Uniformen, die die beiden am bewussten Tag getragen haben, bemerkt Huth, dass diese tatsächlich Firmenkleidung sei, die von verschiedenen Lieferanten und Herstellern stamme, die unbedenklich seien. So stamme etwa der Gürtel von Boss. Mit ihrer Kritik richtet sich Huth insbesondere gegen die Darstellung von Bild-Online am 5. Mai .
Noch mehr wendet sie sich aber gegen die fristlose Kündigung, die direkt vom Leiter des Zentralamts und Justitiar des Hessischen Landesamts für Denkmalspflege, Jan Nikolaus Viebrock, kam. Sie befürchtet, ihr Unternehmen könne nun als „Nazi-Firma“ stigmatisiert werden. Das sei vollkommen unberechtigt. „Wir beschäftigen neben Deutschen auch Italiener, Marokkaner, Türken, Ukrainer, Armenier, Polen, Bulgaren , Syrer, Kosovaren, bosnisch-herzegowinische, ägyptische, kroatische, serbische und französische Mitarbeiter. Insgesamt sind es im Kern 60 Mitarbeiter mit Aushilfen im Stamm, die für uns arbeiten. Wir hatten, seitdem wir 2006 am Markt sind, noch nie irgendwelche Probleme mit einem unseren Mitarbeiter und speziell unseren beiden neuen Mitarbeiter sind bei uns nie durch irgendeine Äußerung aufgefallen, die an eine Verbindung mit rechtsextremistischem Gedankengut hätte denken lassen können“, sagt Huth. Dieses habe sie auch in ihrem Widerspruch auf die fristlose Kündigung geschrieben.
Wachleute waren eine Stunde mit Pressevertretern zusammen
„Während der rund einstündigen Pressekonferenz standen beide Mitarbeiter vor der versammelten Presse mit im Raum. Zu dem Zeitpunkt hatte sich noch niemand an ihrer Anwesenheit gestört“, stellt Huth fest, die selber während der Pressekonferenz dabei gewesen war. Nach dem Ende der Pressekonferenz seien ihre beiden Mitarbeiter zum Ausstellungsraum des Keltenfürsten gelaufen, um ihn dort weiter zu bewachen. Dort sei es dann zum Fototermin gekommen, der im Nachhinein mit verantwortlich für die Folgen sei, unter denen ihr Unternehmen zu leiden habe. In Stellungnahmen, die dem Mittelhessenblog vorliegen, wird insbesondere von Tobias B. der Vorwurf erhoben, das Bilder retuschiert worden seien. Zudem habe es von einem Reporter, der sich als Bild-Mitarbeiter vorgestellt habe, die Bitte um Aufnahmen und entsprechende Regieanweisungen gegeben, die „ernste Bewachung“ symbolisieren sollten. In dem von Bild-Online verwendeten Foto der beiden Wachleute weist die Urheberschaft auf die Nachrichtenagentur dapd als Bildlieferanten hin. Zum Sachverhalt hat Mittelhessenblog dapd am 16. Mai eine Bitte um Stellungnahme gesandt, deren Antwort noch aussteht.
Zum anderen Aspekt, der den politischen Wirbel um das Museum Keltenwelten am Glauberg verursacht, lieferte David Adam entsprechende Hinweise. Adam ist freier Mitarbeiter der Firma, die das Museum eingerichtet hatte. Seine Hinweise stellen einerseits den Vorwurf der Volksverhetzung auf schwache Beine, zum anderen auch mögliche personelle Konsequenzen, die Museumsleiterin treffen könnten. Wegen des Vorwurfs der Volksverhetzung, insbesondere der behaupteten Leugnung des Holocausts hatte die Staatsanwaltschaft in Gießen Ermittlungen eingeleitet.
Adam widerspricht nun nachdrücklich Darstellungen, wonach einer der beiden, mit dem er sich am 30. April während seiner Arbeit als Museumseinrichter kurzzeitig einen „im Tonfall sachlichen Wortwechsel“ über die unterschiedlichen Ansichten zu rechtem Gedankengut geliefert hatte, die Ermordung von Juden und anderen den Nazis missliebigen Menschen (Holocaust) geleugnet habe. Dies könne er so nicht bestätigen. So berichtet das Darmstädter Echo in seiner Online-Ausgabe unter Verwendung eines dpa- Textes am 11. Mai, die Leiterin des Museums, Katharina v. Kurzynski habe schon Tage vorher davon gewusst. Das Ministerium habe erst am 8. Mai davon auf Umwegen erfahren, weswegen anschließend die Staatsanwaltschaft in Gießen informiert worden sei.
Soll Museumsleiterin das Bauernopfer eines inszenierten Skandals werden?
Wie Adam dem Mittelhessenblog schriftlich erklärte, habe er am 2. Mai der Restauratorin des Museums von seinem Wortwechsel mit dem Wachmann berichtet und räumt ein, dass „er möglicherweise etwa alarmistisch“ und vorschnell reagiert habe, ohne zu bedenken, welche Folgen die Wiedergabe dieses Gesprächs haben könnte. Er habe aber zu keinem Zeitpunkt erklärt, der Wachmann habe den Holocaust geleugnet. „Das stimmt nicht, folglich kann Frau v. Kurzynski dies auch nicht erfahren haben“, sagt Adam. In verschiedenen Mails, zuletzt vom heutigen Datum, habe er dem Wissenschaftsministerium und dem Landesdenkmalamt Gespräche zur Klärung des Sachverhalts angeboten. Ohne Reaktion. In diesen Briefen fragt Adam, ob v. Kurzynski möglicherweise das „Bauernopfer“ eines inszenierten Skandals werden soll.
Den Fakten widerspricht auch die bei Bild-Online behauptete NPD-Mitgliedschaft der beiden Wachleute. Der Darstellung, beide seien aktive NPD-Mitglieder wird auch vom politischen Gegner zumindest in Teilen widersprochen. So kommentiert die Antifaschistische Bildungsinitiative mit Sitz in Friedberg eine Presseschau mit einer Klarstellung, in der der Darstellung widersprochen wird, „dass eine der beiden Personen im hessischen NPD-Vostand“ aktiv sei. Beide seien aber vermutlich noch „Personen der rechten Szene“. Wie Huth dem Mittelhessenblog gegenüber erklärte, habe sie am 5. Mai direkt die NPD angefragt, ob ihre beiden Mitarbeiter noch Mitglieder oder aktiv seien. Beides sei von der NPD schriftlich verneint worden. Am 10. Mai hatte die Wetterauer Geschäftsstelle ihr bestätigt, beide seien „seit ca. drei Jahren keine NPD-Mitglieder mehr“.
Wie in der Online-Ausgabe des Kreisanzeigers vom 17. Mai steht, habe sich das Wissenschaftsministerium nun dafür entschieden, mit der Firma GSE-Protect zusammenzuarbeiten. Genau jener Firma war 2009 in Berlin ähnliches geschehen, wie nun Huth und Groß . Einer der Mitarbeiter war Funktionär der NPD und durch seine rassistischen Äußerungen aufgefallen. Er hatte eine Stelle als Wachmann in den U‑Bahnen der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG). GSE habe den Mann umgehend entlassen und sei für die Entscheidung gelobt worden, berichtet der Tagesspiegel aus Berlin in seiner Ausgabe am 6.Oktober 2009.
KOMMENTAR
Was der Geschäftsführer der GSE 2009 in Berlin entschieden hatte und in analoger Weise nun 2011 am Glauberg mit Deckung von Wiesbaden anscheinend ebenfalls durchexerziert werden soll, ist die bereits ausgesprochenen Kündigung für die Kassenaufsicht und die Aufsicht im Gebäudeinneren für die bisherige Betreiberfirma Huth und Groß sowie die von Adam befürchtete Absetzung von Kurzynski als Museumsleiterin.
Spätestens seit dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts von Erfurt vom 12. Mai erscheint aber genau diese Herangehensweise nicht mehr vom Recht gedeckt. Das BAG hatte geurteilt, dass die Betätigung als NPD-Aktivist kein Kündigungsgrund sein darf. Im vorliegenden Fall nun ist das erste Opfer die Gederner Sicherheitsfirma, sofern die Kündigung aus Wiesbaden nicht zurückgenommen wird. Opfer könnte auch die Museumsleiterin sein. Die Ursache für beides könnte eine Verbindung von inszenierter Realität und übereilter Entscheidung der Hessischen Wissenschaftsministerin sein. Dies wieder könnte ausgelöst worden sein durch die entsprechenden Reaktion der Opposition. Ein weiteres Opfer steht zu befürchten: Wenn die beiden Wachleute, insbesondere Tobias B., ihrer rechtsradikalen Vergangenheit abgeschworen haben und durch die Vermittlung eines Jobcenters die Aussicht auf ein normales Leben in politisch gemäßigtem Umfeld geboten bekommen haben, dürfte die jetzige Stilisierung und Stigmatisierung eine fatale Doppelwirkung haben: Die erste an potentiell Aussteigewillige der Extremistenszene: „Es lohnt sich doch nicht, uns wird das doch nur irgendwann wieder um die Ohren geschlagen“ . Die zweite Doppelwirkung: Ohne Not werden so Märtyrer geschaffen, die sich aus ihrer Sicht der Dinge heraus dann als „politisch Verfolgte“ verstehen. Bleibt zu hoffen, dass man im hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst weise genug ist, diese Wirkungen zu bedenken und gegebenenfalls bereit ist, einen Fehler einzugestehen und vorschnell gehandelt zu haben. Das wäre menschlich und hätte am Ende Größe. Sollte sich der Verdacht der Nachrichtenmanipulation und der Inszenierung von Realität bewahrheiten, wäre das wiederum fatal für jeden Anspruch an seriösen Journalismus. Es würde sich wieder zeigen, dass es sich lohnt, notfalls alles doppelt und dreifach zu recherchieren und gegenzurecherchieren. Das kostet allerdings Arbeit, Zeit, Kraft und Geld und lässt am Ende möglicherweise eine blickstarke Schlagzeile platzen.
Wenn Sie diesen Artikel gelesen haben, sollten Sie zum gleichen Thema im Mittelhessenblog auch die Artikel vom 6. Mai 2011 und 14. Mai 2011 lesen. Speziell über das Urteil des Bundesarbeitsgerichts gibt es einen Artikel bei Zeit-Online
—————————————————————————————————————————————————————————
Hinweis in eigener Sache
Sorgfältige journalistische Arbeit hat ihren Preis. Sie kostet Zeit, Kraft und Ausgaben für Recherche und Technik. Sie können die Arbeit des Mittelhessenblog für eine unabhängige und freie journalistische Berichterstattung unterstützen: Flattrn Sie das Mittelhessenblog über das grüne Flattr-Symbol neben jedem Artikel oder direkt am Kopf der rechten Spalte. Einzige Voraussetzung: Ein Nutzerkonto bei flattr. oder überweisen Sie eine Spende auf unser Konto bei der Volksbank Heuchelheim : BLZ 513 610 21 Kto: 4080718. Damit tragen Sie zur Unabhängigkeit und erhöhten Arbeitsfreude des Mittelhessenblog bei.
Horst Meier meint
Wenn Frau Huth zur Verteidigung anführt welche Nationalitäten sie alles beschäftigt muß ich schmunzeln. Als ob Italiener, Ukrainer etc. keine Rassisten sein könnten. Und die unbedenkliche Firma Hugo Boss, von denen die Gürtel stammen, war in den 30ern stramm nationalsozialistisch und wurde mit Uniformen (auch Gürteln) für die Wehrmacht so groß.
Aber das nur am Rande.
Christoph von Gallera meint
Lieber Horst Meier,
mit Ihrer Bemerkung haben Sie sicher recht. Hier zielt die Begründung aber in die Richtung, dass der Einsatz vieler Nationalitäten in einer Firma für deren Weltoffenheit steht. Auch der Einwand bezüglich Boss mag sicherlich richtig sein, zielt aber in die Vergangenheit. Legt man die individuelle Geschichte aller Deutschen zugrunde, die in der NS-Zeit in Deutschland lebten, so kann man wohl auch hier davon ausgehen, dass der größte Teil den NS-Apparat geduldet,wenn nicht in irgendeiner Form aktiv mitgetragen hat. Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass deswegen die Kinder und Enkel oder Urenkel auf dem gleichen Weg weitergehen. Insofern wird auch ein Boss-Gürtel, der heute Bestandteil einer Dienstuniform ist oder aus Modegründen getragen wird, nicht allein aufgrund der Vergangenheit der Herstellerfirma zu einem deutungsfähigen Symbol. Diese Deutung wird nach Lage der Dinge immer hineininterpretiert. Genau dieses ist nach Lage der Dinge am 5. Mai aufgrund der bekannten Faktenlage geschehen. Sollte es belastbare Hinweise für eine andere Faktenlage geben, nimmt die Redaktion des Mittelhessenblog diese Hinweise gern für eine ergebnisoffene Recherche an.