Wie tief muss die Angst sitzen: Der Versuch misslang, dass eine Schleckermitarbeiterin beim Blick hinter die Kulissen des Drogerei-Discounters hilft und ihre Erlebnisse bei garantiertem Informantenschutz berichtet. „Die Frau hat einfach zuviel Angst“, versuchte Helmut Appel die Reaktion zu erklären, mit der er selber nicht gerechnet hatte.
Der Vorsitzende der hessischen Landesfachgruppe Handel der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hatte eine Sonderrolle während der Maikundgebungen im mittelhessischen Gießen: Vor der Schlecker-Filiale im Gießener Asterweg markierte er Positionen des Unternehmens, das dieses als Lohndrücker kennzeichnet. In dem Unternehmen finde gerade ein Strukturwandel statt hin zu Schlecker XL. Dies, so Appel, bedeute Lohndrückerei und eine massiver Verschlechterung der sozialen Standards. Um die allgemeinen Worte des Gewerkschafters mit den Erlebnissen aus der Schlecker-Arbeitswelt plastischer werden zu lassen, hatte das Mittelhessenblog angeboten, die Frau zu Wort kommen zu lassen. Ihr Argument, wieso nicht: „Sie hat Angst, dass hier Schleckerleute unterwegs sind und sie sehen könnten, wie Sie mit Ihnen spricht.“ Das Angebot des Blogs steht. Dass die Angst um soziale Verschlechterung insgesamt in Mittelhessen die Arbeitnehmer auf die Straße treiben würde, hatte der mittelhessische DGB-Vorsitzende Ernst Richter wenige Tage vorher vorhergesagt. Von Alsfeld bis Herborn seien es an diesem 1. Mai gut 2500 Leute gewesen.
Als Mairedner war der hessische Verdilandesvorsitzende Jürgen Bothner nach Gießen gekommen. Während er von der Bühne herunter von 208241 arbeitslosen Hessen im gerade zuende gegangenen April 2010 sprach, denen ebenfalls in Hessen 27144 offene Stellen gegenüber stünden und der Wirtschaft Zynismus durch Umkehrung dieser Zahlenverhältnisse vorwarf machte es indes den Eindruck, als die, derentwegen die Gewerkschaft alles mobilisierte, was laufen und fahren kann, lieber das gute Wetter und den volksfestartigen Charakter der Kundgebung genossen, als tatsächlich den Worten des hessischen Verdichefs Beachtung schenkten. Während Bothner das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Hartz-IV-Urteil aufgriff, in dem jedem Einwohner Deutschlands ein menschenwürdiges Existenzminimum zugestanden werde und der Politik vorwarf sich in großer Mehrheit „marktradikalen Denken“ unterworfen zu haben, von der Ausdünnung des Sozialstaats sprach, machte es nicht den Eindruck, als ob er zu einer Versammlung höchst unzufriedener Menschen sprach. Zwar hatte es vorher auch einen Demonstrationszug gegeben, dem sich die Schüler und Studenten mit ihrem Jugendblock angeschlossen hatten.
Wie es schien, wurde der Kern der Botschaft, nämlich dass immer mehr Menschen zwar immer mehr arbeiten, das aber häufig zu Bedingungen, die kaum eine vernünftige Existenzsicherung gewährleisten, durch zuviel Rahmenprogranm verwässert. Ein Lichtblich aus Arbeitnehmersicht war denn der Auftritt Appels. Mit der Nachricht von einer Entscheidung des Arbeitsgerichts Marburg zeigte er, dass auch eine Kette wie Schlecker sich nicht über geltende Gesetze erheben darf. Schlecker-Mitarbeitern sei vom Gericht bestätigt worden, dass sie auch zu ihren alten, besseren Vertragsbedingungen beim neuen Unternehmensformat XL Schlecker weiterarbeiten können. Dass sich das Unternehmen darüber hinwegsetzt und mit Zwangsversetzungen droht, steht dabei auf einem anderen Blatt.…Bei dem Verfahren vor dem Marburger Arbeitsgericht ging es um die Kündigung zweiter XL-Filialleiterinnen im Zusammenhang mit der Neueröffnung eines XL-Marktes in Kirchhain im Landkreis Marburg-Biedenkopf.
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